Geography Reference
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Französischunterricht im Gymnasium, machten in den
1960er- und 1970er-Jahren vor allem Frankreich zu
einem bevorzugten Ziel von Schülerreisen für die west-
deutsche Nachkriegsgeneration. Die älteren Erwachse-
nen entdeckten in Westdeutschland seit den 1950er-Jah-
ren „Bella Italia“ als Urlaubsziel. Inzwischen haben
mehrere Generationen von Schülern und Studierenden
via Schüleraustausch, Interrail-Ticket oder Auslands-
semester persönliche und häufig intensive Europa-
„Erfahrungen“ gemacht - eine Form der europäischen
Integration „von unten“. Neben Frankreich sind natür-
lich auch Großbritannien, Spanien und die skandinavi-
schen Länder zu bevorzugten Reisezielen deutscher und
westeuropäischer Jugendlicher geworden, und sie sind es
bis heute. All diese Reisen formten zunehmend dichtere
geographical imaginations der Teilräume des Alten Kon-
tinents, seiner Gemeinsamkeiten, aber natürlich auch
seiner regionalen Spezifika.
Dabei geriet mitunter aus dem Blick, dass es doch ein
merkwürdig „amputiertes“ Europa war, das hier bereist
wurde. Es war fast immer der Westen, Süden und Nor-
den, während die Länder hinter dem „Eisernen Vor-
hang“ weitgehend zur Terra incognita wurden und ihre
geographical imaginations verblassten und sich zum
Monochrom sowjetischer Satelliten verengten. Damit
verschoben sich allmählich die Raumvorstellungen der
Bevölkerung im kapitalistischen Europa über den Halb-
kontinent und seine Teilräume. Reiseführer, aber auch
europäische landeskundliche Darstellungen konzen-
trierten sich meist auf das Europa der Europäischen
Union und der europäischen Freihandelszone European
Free Trade Association (EFTA).
Geradezu reziprok zu den westdeutschen Vorstel-
lungen von Europa entwickelten sich Europabilder
der DDR-Jugendlichen und der Jugendlichen in ost-
europäischen Staaten. Nach dem Bau der Mauer war
für Nichtrentner der Westen verschlossen. Reiseziele
waren die sozialistischen Staaten Ostmitteleuropas:
Polen, die Tschechoslowakei oder Ungarn, auch die
Schwarzmeerküste Bulgariens oder Rumäniens. Fuhr
Westeuropa zum Skilaufen in die Alpen, so boten die
Hohe Tatra oder andere polnisch-tschechoslowakische
Grenzgebirge Wintersportmöglichkeiten für Osteuropa.
Weite Reisen konnten auch in die Sowjetunion, in die
Schwarzmeerbäder, an den Baikalsee oder in den Kau-
kasus führen.
Europa aus der Sicht
außereuropäischer Touristen
Einer solchen Europawahrnehmung aus der Binnen-
perspektive stehen natürlich die Europabilder außer-
europäischer Touristen gegenüber. Sie lassen sich andeu-
tungsweise aus einer Sichtung weit verbreiteter Reisefüh-
rer erschließen, denn diese spiegeln Erwartungshorizonte
ihrer Leser wider und befriedigen Reiseerwartungen:
„Thanks to the continent's huge global influence, new-
comers find it foreign and, at the same time, reassuringly
familiar. Often dubbed a ‚living museum', this is a place
rich in history and tradition. Fairy-tale castles cast their
shadows over lush green valleys and Gothic churches stand
proudly amid beautifully preserved medieval towns. Gal-
leries overflow with masterpieces from the likes of Da
Exkurs 1.1
Reisen in Osteuropa im Jahr 2008
Für ein sich „von unten“, durch die Bürger selbst integrie-
rendes Europa ist das Schengen-Abkommen von kaum zu
unterschätzender Bedeutung. Die darin geregelte Reise-
freiheit zwischen den Unterzeichnerländern gilt nicht nur
für die meisten EU-Staaten, sondern auch Norwegen, die
Schweiz und Liechtenstein haben das Abkommen ratifiziert.
Damit wurde ein „Reiseraum“ für das Erleben eines (fast)
grenzenlosen Europas geschaffen: vom Atlantik bis ans
Schwarze Meer und vom Polarkreis bis ans Mittelmeer kann
man ohne Visa und Passkontrollen reisen.
Dies ist besonders für die Bürger der ostmitteleuropäi-
schen Staaten von Bedeutung, die nun seit einigen Jahren
ebenfalls dieselbe Reisefreiheit haben - und umgekehrt,
wenn auch noch seltener, für die Westeuropäer, die mit
Neugier ihre Nachbarn im Osten kennenlernen. Dort sorgen
nicht nur historisch-kulturelle Gemeinsamkeiten für ein
Gefühl der Vertrautheit, sondern auch die Alltagsumwelt:
Symbole und Zeichen der universellen Warenwelten haben
sich auch in den ehemals sozialistischen Staaten ausge-
breitet. Die gleichen Shops und Fast-Food-Läden und ihre
Warenangebote für den globalen Konsumenten drängen das
Eigentümliche der Städte und Regionen oft schon rein
optisch in den Hintergrund - und noch haben diese Staaten
überwiegend ihre eigenen Währungen, aber bereits heute
kann man mit dem Euro oft problemlos Rechnungen beglei-
chen.
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