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Exkurs 2.9
Stechmücken - ein europäisches Problem
Norbert Becker
Stechmücken (Culicidae) stehen wegen ihrer medizinischen
Bedeutung als Vektoren gefährlicher Krankheitserreger, die
Malaria, Gelb-, Dengue-, Chikungunya- oder West-Nil-
Fieber sowie Enzephalitiden und lymphatische Filariosen
hervorrufen können, im Mittelpunkt weltweiter entomologi-
scher Forschungen. Mehr als die Hälfte der Weltbevölke-
rung lebt unter dem Risiko durch einen Mückenstich mit
solchen Krankheitserregern infiziert zu werden.
Im Jahr 2010 erkrankten nach Schätzungen der Weltge-
sundheitsorganisation (WHO) etwa 270 Millionen Men-
schen an Malaria, wobei etwa eine 1 Menschen - also etwa
zwei Menschen pro Minute - starben. Obwohl etwa drei
Viertel aller Stechmückenarten in den Tropen und Subtro-
pen vorkommen, sind Mücken nicht nur ein Problem in die-
sen Regionen. Sie können auch in den gemäßigten Breiten
erhebliche Belästigungen hervorrufen und schmälern nicht
nur das Freizeitvergnügen, sondern führen oft in vielen von
Stechmücken verseuchten Gebieten zu finanziellen Einbu-
ßen, wie zum Beispiel im Gastronomie- und Tourismusge-
werbe.
Zunehmend werden außerdem auch in Europa wieder
tropische Krankheiten ein Problem, die von eingeschlepp-
ten Mückenarten wie der Asiatischen Tigermücke, Aedes
albopictus , übertragen werden. Das Einschleppen dieser
invasiven Stechmücken wird vor allem dadurch begünstigt,
dass sie geeignete Entwicklungsstadien, zum Beispiel tro-
ckenresistente Eier, besitzen, die zum Beispiel in gebrauch-
ten Autoreifen abgelegt und über den Altreifenhandel von
einem Kontinent auf den anderen verbreitet werden.
Moderne Transportmittel im Zuge des globalen Handels, die
hohe Mobilität der Menschen und nicht zuletzt auch stei-
gende Temperaturen erhöhen das Risiko, dass sich neue
Stechmückenarten und von ihnen übertragene Krankheiten
in einem Gebiet etablieren können oder auch schon verges-
sene Krankheiten, wie Malaria oder Dengue, erneut ein Pro-
blem in Europa werden können. Erste bodenständige Krank-
heitsfälle traten bereits im Jahr 2010 im mediterranen
Raum auf. Auch das massenhafte Auftreten der sogenann-
ten Überschwemmungsmücken hat in vielen Bereichen Eu-
ropas zu Problemen geführt. In Zentral- und Nordeuropa
können sich in Flusssystemen oder entlang von Seen mit
Wasserstandsschwankungen die sogenannten Überschwem-
mungsmücken (meist Aedes vexans und Ochlerotatus sticti-
cus ) bei frühsommerlichen oder sommerlichen Hochwäs-
sern in Massen entwickeln und zur Plage werden. In
versumpften Wäldern und Tundrengebieten treten oft nach
der Schneeschmelze die sogenannten Waldmücken (z. B.
Ochlerotatus communis, Oc. punctor oder Oc. hexodontus )
in Massen auf. In den Salzmarschen, zum Beispiel an den
mediterranen Küsten sowie in vielen Reisanbaugebieten, ist
vor allem Ochlerotatus caspius eine bedeutende plageerre-
gende Art.
Die Hausmücken ( Culex pipiens ) treten bevorzugt in
oder in der Nähe von menschlichen Siedlungen auf. Von
Culex pipiens gibt es verschiedene, äußerlich kaum zu
unterscheidende Rassen: Manche dieser Rassen saugen
Blut bei Menschen, andere nur bei Vögeln; manche müssen
vor der Eiablage Blut saugen, andere nicht. Hausmücken
sind ausgesprochene Dämmerungs- und Nachttiere und
wandern nur wenig. Sie belästigen daher den Menschen
meist nur abends und nachts in oder in der Nähe von
Gebäuden, tagsüber und in der freien Landschaft sind sie
üblicherweise wenig lästig.
Eine weitere in Europa vorkommende Mückengattung
sind die Fiebermücken. Die Anopheles überwintern als
Weibchen zum Beispiel in Stallungen ( Anopheles maculi-
pennis ) oder als Larven zum Beispiel in Jauchegruben oder
wassergefüllten Baumhöhlen ( Anopheles plumbeus ). Sie
legen ihre Eier direkt auf der Wasseroberfläche einzeln
nach der Blutmahlzeit ab. In der Regel sind pflanzenreiche
Dauergewässer oder halbausdauernde Gewässer die Brut-
plätze. Die Anopheles -Arten haben noch vor 100 Jahren
häufig als alleinige Überträger der Plasmodien, die die
menschliche Malaria hervorrufen, fungiert und Malariaepi-
demien erzeugt. Durch die medizinische Versorgung sind
Malariaepidemien in Deutschland auszuschließen, obwohl
es auch heute noch alle sechs Anopheles -Arten vor Ort gibt.
Allerdings kann es zu einzelnen Malariainfektionen auch
hier im Zuge der Klimaerwärmung kommen. Ein großes Pro-
blem stellen die offengelassenen Jauchegruben mit dem
Rückgang der Tierhaltung dar, da sich in ihnen die norma-
lerweise in Baumhöhlen brütende Anopheles plumbeus
massenhaft entwickeln kann und heute in vielen ländlich
geprägten Gemeinden ein ernstzunehmender Plagegeist ist,
der am Tage auch sehr stechlustig ist und sich im Labor
sogar als kompetenter Überträger der Malariaerreger ge-
zeigt hat.
Die Bekämpfung der Stechmücken
In vielen europäischen Ländern geht man in organisierten
Bekämpfungsmaßnahmen gegen die Stechmücken vor - so
zum Beispiel in Frankreich entlang der Atlantik- bzw. medi-
terranen Küste sowie im Pariser Raum, im Rhonetal und im
Elsass. In Italien und in Griechenland stellen große Reisan-
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