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und immer drei Schritte hintendrein,
so müssen bis heute viele Frauen ihrem
Mann folgen. Erst als Großmutter wird
sie sehr verehrt, dann küsst man ihr
sogar die Hand.
Zwar wurden die Frauen durch die
Reformen Atatürks als Rechtspersön-
lichkeit anerkannt und erhielten 1934
das allgemeine Wahlrecht. Doch in den
Die Heirat wird vom Vater möglichst
früh arrangiert und gleicht häufig
heute noch einem Geschäft, bei dem
ein möglichst hoher Preis für die Ar-
beitskraft der Braut herausspringen
soll. Mittlerweile wurde zwar das Min-
destalter zur Heirat auf 18 Jahre
hochgesetzt, das Prinzip der arrangier-
ten Ehen ist damit aber noch lange
nicht beendet, wie die vielen Fälle ent-
führter junger Türkinnen aus Deutsch-
land zeigen.
Brautpreis und Kızkaçırma
Vor noch nicht allzu langer Zeit
war es üblich, dass der Bräutigam
der Familie seiner Braut einen
Brautpreis zahlen musste: Das sind
die berühmten fünf Kamele, die
heute scherzhaft für blonde Tou-
ristinnen geboten werden. Konnte
man sich nicht auf einen Preis eini-
gen, gab es das probate Mittel des
kızkaçırma, der ›Jungfrauentfüh-
rung‹. Dabei wurde die Braut in
spe entführt und ihrer Jungfräu-
lichkeit beraubt - danach tendier-
te der Brautpreis natürlich gen
null. Oft (wenn auch nicht immer)
geschah dies mit Einverständnis
der Frau; oft auch, um den Vater
überhaupt zur Einwilligung zu
zwingen. Das Kızkaçırma ist also
einer der Gründe, warum man in
der Türkei so sehr auf die Töchter
aufpasst.
Frauen an die Macht
Freilich wäre es falsch, alle türkischen
Frauen auf dieses Bild zu reduzieren.
Frauen der Oberschicht sind im öf-
fentlichen Leben überraschend stark
vertreten. Innerhalb der republikani-
schen Elite vor der Regierungsüber-
nahme der islamischen AKP konnten
auch Frauen in höchste Ämter auf-
steigen. 1993 wurde eine Frau sogar
Ministerpräsidentin der Türkei. Solche
Ausnahmefrauen sind in Europa aus-
gebildet, fast immer stammen sie aus
superreichen Familien der kemalisti-
schen Staatselite.
Die jungen Frauen der Mittelschicht
jedoch sind in einer schwierigen Situa-
tion. Sie sind bis zum 16. Lebensjahr
schulpflichtig und erhalten eine Aus-
bildung. In westlich orientierten Fami-
lien ist es durchaus üblich, die Töchter
danach in Jobs bei Banken, Versiche-
rungen oder Behörden unterzubrin-
gen. Diese Frauen bzw. ihre Familien
entsprechen - jung, modern und euro-
päisch - dem Bild der Werbespots im
türkischen Fernsehen, das mit der ge-
samttürkischen Realität jedoch wenig
zu tun hat. Heute zieht es die Wähler-
schaft der AKP zunehmend vor, ihre
Kinder, Mädchen mehr noch als
Jungen, auf Schulen zu schicken, die
ländlichen Gebieten standen diese
Rechte nur auf dem Papier. Mädchen
wurden früh mit der Feldarbeit be-
traut und mussten deshalb häufig auf
den Schulbesuch verzichten. Es gibt
trotz aller Reformen viele Regionen, in
denen das immer noch so ist. Als höch-
stes Gut gilt ihre Ehre - zuallererst die
Jungfräulichkeit, die schon durch eine
Geste gegenüber einem fremden
Mann in Gefahr gerät.
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