Cryptography Reference
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Von der dramatischen Geschichte der Enigma erfuhr die Öffentlichkeit nach dem
Zweiten Weltkrieg erst einmal nichts. Der britische Premierminister Winston
Churchill ließ die Maschinen in Bletchley Park vernichten, die Resultate der
Codeknacker blieben Staatsgeheimnis. Erst 1974 wurde die Sache öffentlich. Die
ganze Wahrheit über die Enigma ist damit sicherlich noch nicht auf dem Tisch.
Man kann beispielsweise nur darüber spekulieren, was die Sowjetunion über die
Enigma wusste. Es ist kaum anzunehmen, dass sich von den zahlreichen hervor-
ragenden sowjetischen Mathematikern keiner damit beschäftigte.
Wie die Enigma-Kryptoanalyse funktionierte
Die Kryptoanalyse der Enigma ist deutlich komplexer als die der Vigenère- oder
gar der Cäsar-Chiffre. Ich kann auf dieses Thema daher nur überblicksweise ein-
gehen. Zunächst einmal ist es wichtig zu wissen, dass eine Ciphertext-Only-Atta-
cke auf die Enigma bei unbekannter Verdrahtung sehr schwierig ist. Es gibt
jedoch wirksame Known-Plaintext-Attacken. Mit diesen gelang es den Polen und
den Briten, die Verdrahtung einiger Maschinen zu bestimmen.
Zur Bestimmung des Schlüssels bei bekannter Verdrahtung (also der Rotor-
Anfangsstellung) gibt es eine Ciphertext-Only-Attacke, bei der eine Eigenschaft
der Enigma hilft, die auf den Reflektor zurückzuführen ist - obwohl gerade dieser
die Maschine sicherer machen sollte. Wie Sie sich leicht überzeugen können, sorgt
der Reflektor dafür, dass kein Buchstabe bei der Verschlüsselung auf sich selbst
abgebildet werden kann. Kennt man ein längeres Wort, das irgendwo im Klartext
vorkommen könnte (der Wortschatz im Krieg war ja begrenzt), dann schiebt man
dieses so lange über den Geheimtext, bis kein Buchstabe des Worts mit dem
Geheimtext übereinstimmt. Nun hat man mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit
ein Klartext-Geheimtext-Paar. Auf dieser Basis konnte der Schlüssel oft bestimmt
werden.
Trotz all dieser Kryptoanalyse-Ansätze hätten die Polen und die Briten nicht
allzu viel erreicht, wenn ihnen nicht einige günstige Umstände geholfen hätten.
Dazu gehörten etwa der bereits erwähnte Spion und die Tatsache, dass den Briten
1941 ein deutsches U-Boot samt Schlüsselbuch in die Hände fiel. Vor allem
gehörte dazu aber auch die sträfliche Sorglosigkeit der Deutschen. Diese begingen
so ziemlich jeden Fehler, den man bei der Nutzung eines Verschlüsselungssystems
machen kann. Immer wieder verwendeten sie einfach zu erratende Anfangsstel-
lungen (etwa
AAA
oder
ABC
). Ein täglicher Schlüsselwechsel bereitete den Dechif-
frierern häufig keine großen Probleme, da Routinemeldungen oftmals mit glei-
chem Wortlaut und täglich zur gleichen Uhrzeit abgeschickt wurden - dies
ermöglichte eine Known-Plaintext-Attacke. Solche und ähnliche Fehler erleich-
terten den Polen und Briten ihre Arbeit ungemein.
Bleibt noch die Frage, ob die Enigma ohne den Reflektor (also bei gleicher
Bauweise wie die Hebern-Maschine) wesentlich sicherer gewesen wäre. Vermut-
lich nicht, denn auch die Hebern-Maschine ist zu knacken, wenn auch auf andere