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Irgendwann stellte Edgar das Autoradio an und meinte, er wolle mir jetzt traditionelle
mexikanische Musik vorspielen. Sie klang fröhlich und erinnerte mich ein bisschen an die
Musik, die meine Mum früher in voller Lautstärke von einer dieser alten Acht-Spur-Kas-
setten abgespielt hatte, wenn wir mit dem Wohnmobil in Wales unterwegs waren. Ich frag-
te Edgar, wovon der Song handelte, und er antwortete: von mexikanischen Drogendealern.
Und dann übersetzte er mir den Text. Es ging irgendwie um ein Auto, das mit sperrangel-
weit geöffneten Türen mitten auf einer Straße stand und dessen Passagieren die Köpfe ab-
getrennt worden waren und aus dem das Blut nur so herausströmte. Keine Ahnung, wie die
Geschichte ausging. Ich konnte das Ende nicht verstehen, weil Edgars Hund wieder Haar-
ballen hochwürgte.
Nach ein paar Meilen hielt Edgar am Straßenrand an. Er wollte mir Santa Muerte zeigen,
was übersetzt »Heiliger Tod« heißt und sich als ein Glaskasten ungefähr in der Größe eines
dieser winzigen Bahnhofskiosks entpuppte, an denen man Schokoriegel, Chips und Kippen
kaufen kann. Nur dass es in diesem Glaskasten keine Chipstüten gab, dafür aber umso mehr
Kippen, ein Skelett mit mehreren Lagen Kutten - und jede Menge Alkohol. Die ärmeren
und kriminelleren Mexikaner, die nicht besonders religiös sind, aber auch nicht komplett
ungläubig, beten diesen heiligen Sensenmann an. Ich habe noch nie darüber nachgedacht,
aber ich nehme mal an, dass auch schlechte Menschen mitunter irgendwen brauchen, zu
dem sie beten können. Während wir uns das Skelett ansahen, hielt ein Wagen mit getönten
Scheiben neben uns an und blieb ein paar Sekunden stehen, die Männer darin neigten ehr-
fürchtig die Köpfe, dann fuhren sie weiter.
Und auch wir setzten unsere Fahrt fort. Edgar meinte, es gebe da ein Osterfest, das ich
mir unbedingt ansehen sollte. Ostern scheint hier in Mexiko ein Riesending zu sein. Auf
einer Bühne vor Hunderten von Zuschauern spielten Leute Szenen aus der Bibel nach.
Ich hörte ein Würgen, doch diesmal war es nicht Edgars Hund, sondern ein Mann, der
gerade gehenkt wurde. Die Sache ist die … Offenbar lieben Mexikaner Gewalt so sehr,
dass diese Szene wohl eine Art Pausenfüller darstellte, um die Leute zu unterhalten, bevor
endlich die Jesusgeschichte losging. Kinder von zwei, drei Jahren saßen auf den Schultern
ihrer Väter und sahen dabei zu, wie die Henkersszene nachgestellt wurde.
Ich spazierte ein Stück weiter über den Rummel und traf auf eine Frau, die tote Grillen
verkaufte. Ricky hat früher auch immer Grillen gekauft, um sie an seine Eidechse zu ver-
füttern, aber hier waren es die Einheimischen, die sich eine nach der anderen in den Mund
schoben. Ich weiß nicht genau, wie lange so eine Tüte Grillen haltbar ist, und ich weiß
ebenso wenig, wie groß die empfohlene Tagesportion ist. Aber jedenfalls war da ein alter
Mann, der eigentlich eher aussah, als müsste er Werther's Original lutschen, der aber offen-
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