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Am Ende der Woche werde ich dieses Mantra aus tiefster Seele hassen. Das heißt, sofern
ich nicht jämmerlich an einer Magen-Darm-Erkrankung krepiert bin.
Luke hat erwähnt, dass viele Menschen das Kumbh-Mela-Fest besuchen, weil sie »sich
selbst finden« wollen. Diesen Ausdruck habe ich noch nie verstanden. Wenn ich mich
selbst finden wollte, würde ich doch nicht ausgerechnet an einem Festival mit zwanzig Mil-
lionen Besuchern teilnehmen. Ich hasse Menschenmengen. Und was ist, wenn ich mich
wirklich finde und ein neuer Mensch werde und wieder nach Hause fliege und Suzanne
mich fragt: »Was bist du denn auf einmal für einer?« Vielleicht mag sie das neue Ich, das
ich gefunden habe, überhaupt nicht. Somit hätte ich lediglich ein neues Problem entwi-
ckelt. Und dann würde ich anfangen, mich selbst zu verabscheuen, weil ich nicht mehr der
Mensch bin, der ich die ganze Zeit über dachte zu sein. Was wäre das denn für ein Mist?
Ich weiß doch genau, wer ich bin. Ich kriege jede Menge Rechnungen auf den Namen Karl
Pilkington. Und ich hoffe sehr, dass ich das auch wirklich bin. Wenn nicht, habe ich nicht
den blassesten Schimmer, für wen ich all die Jahre Rechnungen beglichen habe.
Ich habe außerdem grundsätzlich Bedenken, ein religiöses Fest zu besuchen. In meinem
ganzen Leben habe ich noch nie einen Sinn für Religion gehabt. Religion interessiert mich
nicht. Es macht mir nichts aus, wenn andere sich dafür interessieren, das ist einzig und al-
lein ihr Bier. Aber mir ist sie nun mal schnuppe. Was genau habe ich also hier zu suchen?
Selbst wenn ich das Ganze einigermaßen spannend fände, würde ich ja doch nicht bei der
Sache bleiben. Ich bleibe so gut wie nie bei einer Sache. Dafür bin ich einfach zu schnell
von allem gelangweilt. Das ist auch der Grund, warum mein Vater damals nicht zuließ, dass
ich die Schildkröte behielt, die ich gefunden hatte. Er meinte, Schildkröten würden zu alt,
und ich würde zu schnell das Interesse daran verlieren. Aus dem gleichen Grund hab ich
als Kind auch nie einen Dauerlutscher geschenkt bekommen.
Während wir zu Mittag aßen, schob Luke mir eine Zeitschrift rüber, in der Cheryl Coles
Beziehungsdrama geschildert wurde. Es ist schon komisch, dass Cheryl Coles Liebesleben
hier ein Zeitschriftenthema ist, wo in Indien andere Probleme doch viel eklatanter sind. Es
gab aber auch einen Artikel darüber, dass die Inder Kuhfladen aufsammeln und sie als Au-
ßenisolierung ihrer Häuser oder getrocknet als Kaminanzünder verwenden. Die Fassaden
dieser Häuser will man sich lieber gar nicht genauer ansehen. Außerdem habe ich eine An-
zeige gesehen für den sogenannten Elefantenmann, der hier auf dem Festival auftreten soll.
Er hat eine Gesichtsdeformation, wird aber zutiefst verehrt, weil er ein bisschen aussieht
wie die indische Gottheit Ganesha, die den Kopf eines Elefanten und den Körper einer Frau
hat. Auf meiner Reise habe ich schon ein paar Ganesha-Abbildungen gesehen. Es gibt noch
einen anderen Gott mit ungefähr fünf Köpfen. Wenn ich so einen als Miniatur finden wür-
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