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DIENSTAG, DEN 9. FEBRUAR
Als wir an diesem Nachmittag den Flughafen hinter uns ließen, war es unfassbar heiß. Nor-
malerweise schwitze ich nicht am Kopf, aber heute ist mir der Schweiß buchstäblich von der
Stirn getrieft. Sogar meine Ohren waren nass. Ricky und Stephen hatten mir ja diverse neue
Erfahrungen auf diesen Reisen angekündigt, aber schwitzende Ohren hatten meines Wissens
nicht auf der Liste gestanden.
Während wir durch den Sonnenschein an den goldenen Stränden von Ipanema vorbeifuh-
ren, plauderte ich ein bisschen in die Kamera und äußerte meine Vorfreude auf Rio. Dann
erfuhr ich, wo genau es hingehen sollte - ins Hostel Piratas de Ipanema -, und schon war
ich nicht mehr ganz so begeistert.
»Regel Nummer eins in diesem Hostel ist: Mach die Küche hinter dir sauber!«, verkündete
Fredericko, der Besitzer, noch ehe ich meine Taschen abgestellt hatte.
»Dann solltest du diese Regel vielleicht demjenigen noch mal mit auf den Weg geben, der
die Küche zuletzt benutzt hat«, entgegnete ich.
Sie sah aus, als hätte dort eine Bombe eingeschlagen. Halb leere Kaffeebecher, zerdrückte
Bierdosen, dreckiges Besteck und geöffnete Becher mit Joghurt, deren magenfreundliche
Bakterien angesichts der lebensfeindlichen in dieser Küche garantiert schon vor langer Zeit
kapituliert hatten.
Fredericko war ein sechsundvierzig Jahre alter Hippie und bei den Jugendlichen, die dort
herumhingen, sehr beliebt. Er hatte ein Dauergrinsen im Gesicht, rauchte selbstgedrehte Zi-
garetten und trug gebleichte, abgeschnittene Jeans. Schade, dass er die Bleiche für seine Kla-
motten und nicht für die Küche benutzt hatte.
Er führte mich einen langen, gewundenen Weg entlang zu meinem Schlafplatz. Erst ging
es durch einen dunklen Flur mit einem einzelnen Ventilator ohne Schutzisolierung, der mit
offenen Drähten verkabelt war, die gefährlich blitzten. Irgendwie erinnerte es mich an den
Ausflug nach Alcatraz, den ich vor Jahren mal gemacht hatte. Junge Leute in Surf-Shorts
und Bikinis kamen uns entgegen. Dann gingen wir eine windschiefe Treppe hinauf und über
eine wacklige Galerie, bis wir schließlich meinen Schlafraum erreichten: ein dunkles Zim-
mer mit ungefähr zwanzig Betten, in dem es aussah wie in Annie , diesem Musicalfilm aus
den 80ern, der in einem Waisenhaus spielt. Noch mehr junge Leute gingen ein und aus. Ich
bin hierfür zu alt, stellte ich im Stillen fest. Das letzte Mal, dass ich dieses Gefühl hatte, war
mit vierzehn, als ich endlich Schwimmunterricht bekam. Die meisten anderen Kinder waren
damals deutlich jünger - sieben oder acht. Und sie dachten, ich wäre der Schwimmlehrer.
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