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das von mehr Respekt, als die Toten zu verbuddeln. Immerhin ist es doch ein großer Lie-
besbeweis, wenn man bereit ist, jemanden zu vernaschen. Besser geht's doch gar nicht.
Wir beluden die Boote und machten uns auf den Weg zu diesem Stamm. Nach einer Weile
wurde der Fluss immer schmaler, und auf einmal hatte ich das Gefühl, beobachtet zu wer-
den. Und dann sah ich, dass wir wirklich beobachtet wurden: von ein paar Männern mit
orange bemalten Gesichtern, Baströckchen und Speeren. Ich winkte ihnen zu. Sie wink-
ten nicht zurück. Womöglich hatten sie mich beim ersten Mal nicht wahrgenommen, also
winkte ich noch einmal. Aber sie winkten immer noch nicht zurück.
Als ich aus dem Boot stieg, landete ich mal wieder im Schlamm. Die Stammesmänner
zeigten immer noch keine Regung. Ich kletterte ans Ufer und sah, dass sich das ganze Dorf
dort versammelt zu haben schien. Ich war mir nicht ganz sicher, ob sie mich willkommen
heißen oder mir Angst einjagen wollten, weil sie in der Überzahl waren. Als ich den Frauen
vorgestellt wurde, wusste ich nicht, wo ich hinsehen sollte, denn sie hatten es nicht für nö-
tig gehalten, sich obenrum etwas anzuziehen. Ich hielt am Ende einfach den Kopf gesenkt
und starrte zu Boden, als ich an ihnen vorbeiging. Trotzdem konnte ich die Brüste der älte-
ren Frauen aus den Augenwinkeln sehen.
Sie brachten mich zu einer Stelle, an der ich mein Zelt aufschlagen konnte. Die Kinder
saßen um mich herum und sahen mir dabei zu. Die Älteren gingen inzwischen wieder ihrer
Arbeit nach, außer einer Frau, die irgendwie wütend aussah und auf und ab wanderte und
dabei eine Axt schwang. Es ist schon bemerkenswert: Wo immer auf der Welt du auch bist
- es gibt immer einen, der ein bisschen gaga ist.
Gerade als ich mein Zelt fertig aufgestellt hatte, riss der Himmel auf, und es begann zu
schütten. Ich holte meine Seife und duschte im Regen. Währenddessen standen die Stam-
mesleute an den Eingängen ihrer Strohhütten und beobachteten mich. Wenn ich darüber
nachdenke, bin ich wohl ein ganz schönes Risiko eingegangen: Wenn es sich wirklich
um Kannibalen gehandelt hätte, sähe die Tatsache, dass ich mich auszog und mich sauber
machte, bestimmt so aus, als würde ein Stück Fleisch - in dem Fall ich - zurechtgemacht
werden, bevor es in den Kochtopf wanderte. Trotzdem fühlte es sich gut an, wieder sauber
zu sein.
Als die Dämmerung einsetzte, machten sie ein Feuer. Wenn sie vorhätten, mich zum
Abendbrot zu verspeisen, wäre jetzt ein guter Zeitpunkt.
Ich lege vielleicht besser mal mein Tagebuch weg und behalte sie im Auge.
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