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SAMSTAG, DEN 17. APRIL
Das Merkwürdige an China ist, dass sie dort Dinge gern anders machen. Sogar so etwas
Simples wie Lesen läuft hier anders als bei uns. Sie lesen Bücher von oben nach unten und
dann wieder zurück nach oben. Es sieht aus, als würden sie all das, was sie gerade lesen,
zustimmend abnicken. Und auch ihr Essen sieht anders aus. Auf dem Weg zur Arbeit bin
ich früher immer durch Chinatown gelaufen, und das Nahrungsmittel, das ich am häufigsten
in den Restaurantauslagen sehen konnte, waren leuchtend rote Hühner. Keine Ahnung, ob
sie diese Hühner irgendwie komisch zubereitet haben oder ob sie dort einfach nur so lange
gehangen hatten, dass sie einen Sonnenbrand bekommen hatten.
Ich esse eigentlich ganz gerne chinesisch. Einmal im Monat. Die Vorstellung, eine ganze
Woche lang jeden Tag chinesisch essen zu müssen, behagt mir ganz und gar nicht. In China
schienen sie obendrein alles, aber wirklich alles zu essen, was sich fortbewegt. Als ich noch
jünger war, gab es dieses Gerücht, in China äßen sie Hunde. Nachdem Small Terrance den
Imbiss bei uns im Viertel übernommen hatte und neben Fish and Chips auch Chinesisch an-
bot, fingen die Leute an, ihn für ihre verschwundenen Haustiere verantwortlich zu machen.
Ricky und Steve meinen ja, ich solle alles essen, was die Einheimischen auch essen, aber
ich kann den Sinn darin auf lange Sicht nicht erkennen. Wenn die Einheimischen zum Bei-
spiel Kröten essen, und ich probiere eine und finde sie lecker, werde ich daheim in London
wohl kaum irgendeinen Metzger finden, bei dem ich Kröte kaufen kann. Warum sollte ich
also riskieren, auf den Geschmack zu kommen?
Mit China verbinde ich außerdem verrückte Erfindungen und Technologien. Ich habe zu
Hause ein Buch über eigentümliche chinesische Erfindungen. Ich kann mich noch daran er-
innern, dass ich darin einmal einen Hut mit einem Klorollenhalter an der Krempe gesehen
habe und Mini-Wischmopps für Katzenpfoten. Die kann man den Katzen überziehen, und
wenn sie in der Küche herumschleichen und darauf warten, gefüttert zu werden, putzen sie
gleichzeitig den Küchenboden.
Der Grund, warum ich hier bin, ist die Chinesische Mauer. Ich freue mich nicht darauf.
Ich habe immer schon ein Problem damit gehabt, Dinge zu mögen, die ich unbedingt mögen
soll. Genau das war auch das Problem mit den anderen Weltwundern, die ich bisher besich-
tigt habe. Allein die Tatsache, dass diese Mauer auf Englisch »The Great Wall« genannt
wird, stört mich. Ich will selbst entscheiden, ob ich sie »großartig« finde oder nicht. Wo-
möglich ist sie am Ende in meinen Augen nur eine »mittelprächtige« Mauer.
Die Chinesen selbst sollen freundlich sein. Ich weiß nicht, warum sie diesen Ruf haben.
Ich weiß nicht mehr, ob ich das mal irgendwo gelesen habe oder ob es mir jemand erzählt hat
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