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3.5
Stadtplanung
Als Chicago 1871 von einem Feuer, das durch Unachtsam
keit ausgelöst worden war, weitgehend zerstört und als 1906 San
Francisco von einem vernichtenden Erbeben getroen wurde,
bestand keinerlei Zweifel daran, die beiden Städte wieder aufzu
bauen, denn sie befanden sich zum Zeitpunkt der Zerstörung in
einer Phase des wirtschalichen Aufschwungs. Tatsächlich haben
die meisten Städte die Krisen erstaunlich schnell überwunden.
In Chicago waren mehr als 100.000 Einwohner obdachlos ge
worden. 1880 war nicht nur neuer Wohnraum für die vom Feuer
Betroenen geschaen worden, sondern zusätzlich für weitere
200.000 Neubürger. Auch San Francisco wurde sehr schnell wie
der aufgebaut (Vigdor 2008, S. 136). Nach der Zerstörung von
New Orleans 2005 durch Hurrikan Katrina diskutierten Politi
kern und Umweltschützer allerdings ernstha, auf einen Wieder
auau an dem Standort zu verzichten. Zum damaligen Zeitpunkt
war New Orleans eine sehr problembeladene Stadt mit einer seit
Jahrzehnten schrumpfenden Bevölkerung, einem mangelnden
Angebot an Arbeitsplätzen, groer Armut und hohen Krimina
litätsraten (McDonald 2007; e American Assembly 2011, S. 3).
Die Globalisierung und der technische Fortschritt haben
die Verletzlichkeit der Städte erhöht, wie die terroristischen
Anschläge vom 9. September 2001 auf das World Trade Cen
ter in New York und das Pentagon in Washington, D.C., äuerst
schmerzlich gezeigt haben. Obwohl Skeptiker das Ende des
Hochhauses angekündigt und eine neue Form der Stadt prophe
zeit haben (Davis 2001), ist die Südspitze Manhattans nach dem
fast abgeschlossenen Wiederauau attraktiver denn je zuvor. Ge
fahr für städtische Gesellschaen droht heute aber auch durch
Krankheitserreger, die angesichts des globalen Reiseverkehrs und
weltumspannender Flugverbindungen binnen weniger Tage von
Kontinent zu Kontinent reisen können, wie die schnelle Verbrei
tung der SARSViren im Jahr 2003 gezeigt hat (Keil 2011, S. 54
55). Angst und Schrecken können zudem absichtlich in Umlauf
gesetzte Erreger verbreiten, wie die AnthraxBakterien, die in
Washington, D.C., Ende 2001 mit der Post verschickt wurden.
Alle Städte mit UBahnen haben Angst vor Anschlägen in vollen
Zügen oder Stationen. Da New York das gröte UBahnnetz des
Landes hat und eine groe globale Ausstrahlung ausübt, ist die
Stadt besonders besorgt. Autotunnel und Brücken nach Man
hattan und die Trinkwasserversorgung stellen ebenfalls groe
Gefahrenpunkte dar. Das Wasser wird der Stadt über nur drei
Tunnel zugeführt. Eine Verschmutzung mit Krankheitserregern
könnte die Gesundheit der gesamten Bevölkerung gefährden,
und eine Schlieung der Tunnel würde die Stadt völlig unbe
wohnbar machen (Owen 2009, S. 3031).
Obwohl kein Zweifel daran besteht, dass Kalifornien auf ein
groes Erdbeben mit vielleicht Hunderttausenden Toten und
kaum vorstellbaren Auswirkungen wartet, wenn das Epizentrum
in Los Angeles oder San Francisco liegen sollte, und Hurrikans
auch in der Zukun an der Ostküste, in Florida und am Golf von
Mexiko groen Schaden anrichten werden, wachsen die Städte an
diesen Standorten beinahe ungebremst. Wiederholt hat sich nach
groen Naturkatastrophen sowie nach terroristischen Anschlä
gen gezeigt, dass die Menschen die Ärmel aurempeln und die
Wirtscha sich binnen weniger Jahre erholt. Ob dieses auch in
Zukun der Fall sein wird, bleibt abzuwarten (Gong und Keenan
2012, S. 374; Owen 2009, S. 3031).
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Der typische USAmerikaner wie auch die Kommunen lehnen
jede staatliche Einmischung in ihre Angelegenheiten ab oder
fürchten diese sogar. Land wird als ein Wirtschasgut wie je
des andere betrachtet und es besteht weitgehend Konsens, dass
ein Eigentümer mit seinem Grundstück den grötmöglichen
Prot erwirtschaen darf. Dieser Wunsch wird von der Regie
rung in Washington und von den Bundesstaaten respektiert, die
von wenigen Ausnahmen wie dem Küsten und Umweltschutz
abgesehen kaum Vorgaben zur kommunalen Flächennutzung
(zoning) machen. Die Gemeinden können weitgehend selbst
entscheiden, ob und wie sie sich in den Ausbau des Siedlungs
körpers, die Bebauung oder die Sanierung bzw. Revitalisierung
bestehender Gebäude oder neighborhoods einmischen und wel
che Form der Bürgerbeteiligung sie zulassen möchten (Culling
worth und Caves 2008, S. 17). Die stadtplanerischen Vorgaben
sind in den groen USamerikanischen Städten entsprechend
unterschiedlich ( . Abb. 3.3 ). In einigen Städten wie New York
oder Los Angeles haben Stadtplanung und entwicklung eine
lange Geschichte. In Los Angeles wurde 1908 mit dem Residence
District Ordinance erstmals in den USA eine räumliche Trennung
von Industrie und Wohngebieten vorgeschrieben (Kotkin 2001,
S. 3). New York hat 1916 als erste USamerikanische Stadt einen
umfassenden Flächennutzungsplan verabschiedet, der regelmä
ig überarbeitet wird und zwischenzeitlich durch eine groe Zahl
weiterer Vorgaben wie die Ausweisung von historic districts (s. u.)
erweitert wurde (Cullingworth und Caves 2008, S. 6869). Hous
ton, immerhin die viertgröte Stadt des Landes, hat bis heute
keinen Flächennutzungsplan. Es gibt zwar in Houston Vorgaben
zur erlaubten Bebauungsdichte in ausgewählten Stadtteilen oder
zur Mindestzahl von Parkplätzen im Falle neuer Bauvorhaben,
aber insgesamt ist der städtische Einuss auf die Flächennutzung
in der texanischen Stadt äuerst gering. Zwischen den beiden
Extremen New York und Houston gibt es eine groe Bandbreite
von stadtplanerischen Ansätzen.
Die Zersplitterung der metropolitanen areas und die groe
Zahl von Behörden, die am Planungsprozess beteiligt sind, er
schweren eine geordnete räumliche Entwicklung. Auerdem
stehen die einzelnen Gemeinden in Konkurrenz zueinander.
Dieses wird deutlich, wenn ein Shopping Center in einer Re
gion gebaut werden soll. Counties und Kommunen fürchten ei
nen Kauraabuss und den Verlust der Einnahmen aus der
Verkaufssteuer im Falle der Ansiedlung auerhalb der eigenen
Grenzen. Bestehende Flächennutzungspläne werden gerne auer
Kra gesetzt und weitere Anreize geschaen, um das Shopping
Center zu gewinnen. Da es keine staatliche Raumplanung gibt,
deren Vorgaben erfüllt werden müssen, ist der Spielraum der Ge
meinden gro. Private Investoren nehmen in den USA weit mehr
Einuss auf die städtische Entwicklung als in Europa. Viele Pro
jekte werden zwischen Investoren und Stadt ausgehandelt und im
Rahmen von Einzelfallentscheidungen genehmigt. Bürgerinitia
tiven, die Ziele wie NIMBY (not in my back yard) oder BANANA
(build absolutely nothing anywhere near anybody) verfolgen, und
Politiker, die Angst vor bei den Wählern unbeliebten Entschei
dungen haben (NIMTOO = not in my term of oce), können
den Planungsprozess um Jahre oder sogar Jahrzehnte verzögern
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