Information Technology Reference
In-Depth Information
der Beweglichkeit der Lettern auf der Zeile die Erstellung eines gleichmäßi-
gen und harmonisch proportionierten Schriftsatzes. Eine Seite für die berüh-
mte Gutenberg-Bibel zu produzieren ging also am Anfang keineswegs
schneller vonstatten: Der Satz war zunächst äußerst aufwändig, und was ir-
gendwann tatsächlich durch den Druck an Zeit gewonnen wurde, wurde so-
fort in die manuell hinzugefügten Malereien investiert. 85 Die Standardisier-
ung der Schrift durch die Verwendung von Lettern, die alle mit einem klein-
en Grundinventar an Gussformen hergestellt wurden, der Zeilenausgleich,
um einen perfekten Blocksatz zu erhalten, der präzise Zeilen- und Wortab-
stand und die perfekte Positionierung des Textblocks auf der Seite - all das
kann man bereits im allerersten gedruckten Buch, der 42-zeiligen
Gutenberg-Bibel sehen. Und damit ist vor allem ein Fortschritt für den Leser
erzielt: Gleichmäßigkeit und Erwartbarkeit in Typograie, Satz und
Textdesign erleichtern das Lesen. Der Buchdruck führt also zu Vorteilen so-
wohl bei der Produktion als auch bei der Rezeption von Geschriebenem.
Manuskriptkultur, Buchkultur - die Aufassungen darüber, in welchem Ver-
hältnis diese beiden kulturellen Phasen zueinander stehen, diferieren sehr
voneinander. Der »Popstar« unter den Medientheoretikern, der 1980 ver-
storbene Kanadier Marshall McLuhan, sah mit der Erindung des Buch-
drucks eine neue Kulturepoche aufziehen, die von ähnlicher Bedeutung sei,
wie Jahrtausende zuvor die Erindung der Schrift. 86 Er nannte sie die
»Gutenberg-Galaxis«, und das ist auch der Titel seines Buchs von 1962, mit
dem er weltberühmt wurde. Andere Autoren, etwa der Kulturwissenschaftler
Peter Stein, betonen in neuerer Zeit die Kontinuität der Entwicklung, die An-
passungs- und Übergangsphasen und die Parallelität von Erscheinungen wie
Manuskriptherstellung und Buchdruck. Besonders die spätmittelalterliche
Manuskriptkultur habe den Buchdruck im Hinblick auf Arbeitsabläufe und
Textdesign vorbereitet, so dass Gutenbergs Erindung als eine »Prozessin-
novation« verstanden werden müsse. 87 Gleichgültig, welche Aufassung man
vertritt: Die Tatsache, dass sich die Kommunikation durch ixierte Schrift auf
einem Trägermedium vollzieht, ist über alle Produktions- und Medien-
entwicklungen hinweg unverändert gültig geblieben. Die Kulturtechnik des
Schreibens wurde ausdiferenziert und technisiert, in Gestalt des Buch-
drucks mechanisiert, die Kulturtechnik des Lesens erforderte aber weiterhin
lediglich Licht, Augen und vielleicht eine Lesebrille, die in Europa fast genau
im gleichen Zeitraum wie der Buchdruck verfügbar wurde. 88 Schrift, ob per
Hand geschrieben oder gedruckt, ist in der Schriftkultur direkt sichtbar und
nicht kodiert, und das sollte sich erst mit der Digitalisierung von Schrift
ändern.
 
Search WWH ::




Custom Search