Information Technology Reference
In-Depth Information
umentieren oder als Grundlage für die Rede zu dienen. 51 In Rom hatte das
Schreiben und (Vor-)Lesen nur wenig soziales Renommee und wurde gebil-
deten Sklaven überlassen. Analphabetismus stellt sich in solchen Gesell-
schaften ganz anders dar als in einer hochliteralen wie der unseren. Gener-
ell kann man sagen, dass es in der Geschichte immer wieder ein Nebenein-
ander von literalen und oralen Gesellschaftsbereichen gab. Im frühen Mit-
telalter etwa befand sich nahezu die gesamte Schriftkultur in den Klöstern,
in denen Bücher kopiert und kommentiert wurden. Außerhalb der Klöster
bewegten sich die Menschen in einer weitgehend oralen Kultur. Im Hochmit-
telalter ab etwa dem 13. Jahrhundert erschloss sich zunächst der Adel die
Schrift, und erst in der beginnenden Neuzeit und verstärkt durch den Buch-
druck drang die Literalität in alle Bereiche der Gesellschaft vor.
Nicht nur die Schrift ist in ihren vielfältigen Ausprägungen historisch ge-
wachsen, sondern auch der Umgang mit ihr. Die Art, wie wir heute Lesen
und Schreiben, ist das Ergebnis einer langen Entwicklung. Besonders gut
kann man dies am Lesen verdeutlichen: In der Antike war Lesen immer ein
Vorlesen oder Vortragen, der Text hatte eine unterstützende Funktion in ein-
er oralen Ordnung, ob es nun um Handel, Politik oder Rechtsprechung ging.
Auch die Literatur war zum Vortragen gedacht und nicht für die stille Lek-
türe, denn das stille Lesen war weitgehend unbekannt. 52 Ein wichtiger
Grund dafür bestand auch darin, dass die Texte ohne Wortzwischenräume in
der sogenannten scriptura continua geschrieben waren.
VERSUCHENSIEEINMALEINENSOLCHENSATZDERZUDEMKEINEINTERPUNKTIONBESITZTZULESEN.
Sie werden schnell merken, dass man sich beim lauten oder lüsternden
Lesen gewissermaßen selbst zuhört und sich der Sinn des Textes erst über
diesen Umweg erschließt. Dieses lautliche Lesen wurde von einem bedeu-
tungsorientierten, stillen Lesen abgelöst 53 und die Textgestaltung aufgrund
dieses Wechsels verändert. Einfache Formen der Textgliederung und Inter-
punktion wurden zwar schon zu römischer Zeit in Texten verwendet, doch
erst in den mittelalterlichen Klöstern begann der Siegeszug des stillen Le-
sens. Vorausgegangen war der Übergang von der Schriftrolle zum Buch, das
praktikabler war, da überall aufschlagbar, aber auch eine geometrische
Normierung dessen erforderte, was eine Seite und eine Zeile sein sollte.
Auch das Wort wurde nun »normiert«, indem es durch Freiräume links und
rechts markiert wurde. Der Leser konnte nun sofort erkennen, welche Buch-
stabenfolge als ein Wort zu werten war und musste nicht den Umweg über
das laute Lesen gehen. Der Vorteil dabei: Ein kopierender Mönch konnte
nun auch ohne einen diktierenden Vorleser einen Text in stiller Arbeit im ei-
genen Tempo abschreiben - ein großer Efizienzgewinn. 54
 
Search WWH ::




Custom Search