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Phasen erwerben die Kinder auch Wissen über Textsorten und ihre Ei-
genschaften - dass dabei auch Kenntnisse über das Textdesign erworben
werden, hat in der Erforschung des Schriftspracherwerbs jedoch bislang
keine Rolle gespielt.
Kapitel 2.5
Wer liest und schreibt, und wie geschieht dies?
Am Anfang dieses Kapitels hatte ich Sie zu einem Gedankenexperiment
aufgefordert: Wie würde es sein, wenn Sie nicht mehr lesen und schreiben
könnten? Eine Situation, in der diese Horrorvorstellung Wirklichkeit werden
kann, ist eine Hirnschädigung aufgrund von Hirnverletzungen. Eine andere,
viel naheliegendere Ursache kann aber auch im Analphabetismus liegen.
Zwar gibt es in Deutschland und Österreich bereits seit dem 18. Jahrhundert
eine weit verbreitete Schulplicht, 49 doch verlieren nicht wenige Schulab-
solventen die Fähigkeit zum Lesen und Schreiben später wieder - teilweise
oder vollständig. Man nennt diese Form des Analphabetismus den »funk-
tionalen« Analphabetismus, im Gegensatz zum »natürlichen« von Menschen,
die nie die Gelegenheit hatten, überhaupt Lesen und Schreiben zu erlernen.
Genaue Zahlen dazu liegen nicht vor und sind auch sehr schwer zu erheben,
denn schriftliche Umfragen verbieten sich naheliegenderweise, und bei per-
sönlichen Befragungen verfälschen Schamgefühle der Betrofenen die
Ergebnisse. Eine umfangreiche Untersuchung der Universität Hamburg hat
für das Jahr 2011 herausgefunden, dass in Deutschland etwa 14 Prozent der
Bevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren als funktionale Analphabeten zu
bezeichnen sind. Von diesen sind vier Prozent noch nicht einmal in der Lage,
einzelne bekannte Wörter in einem Satzzusammenhang zu verstehen. 50
Wenn man darüber reden möchte, in welchem Maße Schrift, Lesen und
Schreiben eine Gesellschaft durchdringen, spricht man von Literalität. Wir
leben in einer durch und durch literalen Gesellschaft, weil fast alles, ob im
Wirtschaftsleben, im Bildungsbereich oder im Justizwesen, überhaupt erst
anerkannt, ja real wird, wenn es schriftlich gefasst ist. Auf der anderen Seite
stehen orale Gesellschaften, in denen die mündliche Kommunikation die
Basis bildet. Ganz ohne Schrift sind einige frühe Hochkulturen, wie etwa die
der Inka in Südamerika, ausgekommen. Aber selbst das antike Griechenland
kann noch als eine in ihren Grundzügen orale Kultur beschrieben werden,
weil die Schrift fast ausschließlich die Funktion hatte, Gesprochenes zu dok-
 
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