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keiten hindurchleitet. Unser ganzes Leben lang frischen wir immer wieder
unser Textsortenwissen auf und erlernen die Regeln neuer Textsorten.
Kinder beginnen bereits in der Schule damit, neben dem Lesen- und
Schreibenlernen auch Textsortenwissen zu erwerben und es anzuwenden,
etwa in Gestalt eines Aufsatzes oder eines Protokolls.
Wie sich Textsorten als Orientierungshilfen des Lesens und Schreibens aus
dem Nichts entwickeln, hat man seit den frühen 1990er Jahren im Web
mitverfolgen können. 30 Bevor sich etwa die heute bei Nachrichtenseiten ver-
wendete Portalstruktur durchgesetzt hatte, versuchten die Zeitungsverlage
auf sehr unterschiedliche Weise, ihre Informationsangebote ins Web zu über-
tragen. Da wurde mal die gedruckte Zeitungsseite nachgebaut oder der
Kleinanzeigenteil an den Anfang gestellt. Mittlerweile ist hier eine Web-
Textsorte entstanden, die dem Leser eine ähnliche Orientierung ermöglicht
wie bei einer gedruckten Zeitung: Aktuelle Meldungen zentral, darüber Lo-
gos und Navigation, rechts zentrale Serviceangebote, weitere Meldungen
nach Ressort geordnet weiter unten auf der Seite, außen Werbung. Ver-
gleichbare Konventionen gelten für die Einstiegsseiten von Universitäten
oder Behörden, Online-Shops, Ergebnislisten von Suchmaschinen, soziale
Netzwerke und vieles andere. Visualität und die Funktion von Texten haben
zur Entwicklung von Textsorten geführt, und das Wissen über Textsorten,
das wir alle besitzen, bildet einen wichtigen Faktor beim Lesen und
Schreiben.
Kapitel 2.4
Schrift in unseren Köpfen
So groß die Vielfalt der Sprachen und der Schriftsysteme auch ist, eines
bleibt dabei immer gleich: Es ist der Mensch, der liest, er muss die Texte mit
seinen Augen wahrnehmen und in seinem Gehirn verarbeiten. Die amerikan-
ische Neurowissenschaftlerin Maryanne Wolf hat in ihrem Buch Das lesende
Gehirn nachgezeichnet, in welchen Stadien sich das Lesenlernen durch das
menschliche Gehirn vollzogen hat. Wolfs These ist es, dass wir »nicht als
Leseratten geboren« werden, sondern sich das Gehirn das Lesen mühsam
selbst beibringen musste. 31 Das gilt historisch, wie man an den
Jahrtausenden der Schriftentwicklung sehen kann, aber auch individuell, da
zwar jedem Menschen die Fähigkeit zur Sprache angeboren ist, nicht aber
die zum Lesen und Schreiben. Es gibt keine Gene für diese Kulturtechniken;
 
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