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Kapitel 10
Alte und neue Träume
Wovon hat Douglas Engelbart geträumt? Träume sind alternative Wirklich-
keiten, und sie entstehen, wenn Menschen eine Idee davon haben, was aus
der Gegenwart einmal hervorgehen könnte. Dies war im Juli 1945 der Fall.
Der Zweite Weltkrieg war in Europa gerade zuende gegangen und sollte nach
dem Abwurf zweier Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki auch in Asien
bald beendet sein. In derselben Zeit erschien in der amerikanischen Zeits-
chrift Atlantic Monthly ein Beitrag mit dem merkwürdigen Titel Wie wir den-
ken werden . 350 Der Autor dieses Artikels war Vannevar Bush, der gerade die
wichtigste Aufgabe seines Lebens erfolgreich abgeschlossen hatte. Bush war
nämlich in den Jahren zuvor in den Vereinigten Staaten für die Koordination
sämtlicher Forschungsvorhaben von militärischer Bedeutung verantwortlich
gewesen, er unterstand direkt Präsident Roosevelt, dirigierte 6.000 Wis-
senschaftler und realisierte kriegswichtige Entwicklungen mit einem nahezu
unbegrenzten Etat, den er nach Gutdünken einsetzen konnte. Das wichtigste
seiner Projekte war das Manhattan Project , der Bau der Atombombe. Als sein
Artikel Anfang Juli 1945 publiziert wurde, stand die erste Test-Explosion zwar
noch aus - diese fand am 16. Juli in New Mexiko statt -, Bush wusste aber,
dass die Entwicklung abgeschlossen war und auch der Krieg gegen Japan in
wenigen Wochen beendet sein würde.
Beim Manhattan Project hatte man in Amerika gesehen, was möglich ist,
wenn sehr viele Wissenschaftler koordiniert ein zunächst unlösbar erschein-
endes Problem bearbeiten. Und anders als in Europa hatte der Krieg keine
katastrophalen Zerstörungen hinterlassen, sondern ein Land, das in
Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung perfekt wie ein geöltes Uhrwerk
funktionierte und das Selbstbewusstsein eines Siegers besaß. Zwar musste
unter Amerikas Führung nun die Welt, zumindest die westliche Welt, wieder
geordnet werden, nicht aber das eigene Land. »Was sollen die Wis-
senschaftler als nächstes tun?«, fragt Bush deshalb gleich zu Beginn seines
Artikels. Sein Vorschlag ist so überraschend wie visionär: Nicht eine Mon-
drakete sollten sie konstruieren oder Energieprobleme lösen, nicht die
Menschheit von Krankheiten befreien oder industrielle Produktionsmethoden
verbessern. Nein, die Wissenschaftler sollten, so schlägt Bush vor, eine
Maschine namens Memex bauen, eine Art Schreibtisch voll mit High-Tech-
 
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