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programm erkannt wird. Wo indet also die Mutation bei der Reproduktion
von d-Memen statt? Wir erwarten von einem Computer nicht, dass er uns
eine literarische Erzählung interpretiert, wenn wir diese digitalisieren. Dar-
in unterscheidet er sich deutlich vom Menschen. Wenn ein Mensch eine
Erzählung gelesen hat, dann erwarten wir sehr wohl, dass er etwas dazu
sagen kann, die Geschichte nacherzählen und ihre Figuren hinsichtlich ihrer
Eigenschaften und Ziele deuten kann. Die digitale Auswertung eines solchen
Textes führt hingegen zu quantitativen Ergebnissen aufgrund statistischer
Analysen. Das ist es auch, was Literaturwissenschaftler interessiert, wenn
sie den Computer als Hilfsmittel für ihre Arbeit einsetzen. Der Computer
verändert und variiert nicht die n-Meme, die er durch Digitalisierung übern-
immt, er schaft vielmehr neue d-Meme, die Eigenschaften besitzen, die für
die algorithmische Verarbeitung geeignet sind. Seine Interpretation ist das
Auszählen, und die Ergebnisse des Auszählens sind d-Meme, die sich wie-
derum mit anderen quantitativ ermittelten d-Memen verbinden lassen. So
sieht also die Schafung neuer d-Meme in Computern aus: Sie entstehen
durch Aggregation und Quantiizierung von Information.
Jeder Replikator entwickelt seine eigene evolutionäre Dynamik. Die genet-
ische Evolution hat Organismen hervorgebracht, die basierend auf ihrer bio-
chemischen Reproduktion durch Zellteilung in ihrer Umwelt besonders er-
folgreich sind. Durch die Evolution von n-Memen sind Sprache, Texte, Ver-
haltensweisen und andere kulturelle Hervorbringungen entstanden, die in
ihrer kulturellen Umwelt hohen Reproduktionserfolg erzielen. Dabei formen
die verschiedenen Replikatoren ihre jeweilige Umwelt, wie wir uns im vori-
gen Abschnitt am Beispiel der Schriftkultur vergegenwärtigt haben. Durch
den erweiterten Phänotyp eines Organismus werden Selektionsprozesse in
Gang gesetzt, die über den eigentlichen Organismus hinausgehen. Die biolo-
gische Umwelt verändert sich dadurch genauso wie die kulturelle Umwelt
im Laufe des evolutionären Geschehens. Diese Anpassungsvorgänge haben
sich auch im unmittelbaren Biotop der Gene und n-Meme vollzogen: Die
Evolution hat die Zelle zur »Überlebenskapsel« der Gene modelliert und un-
sere Gehirne zu der der n-Meme.
Beide evolutionären Tendenzen - die Formung der Umwelt und die Opti-
mierung des unmittelbaren Biotops - werden sich auch beim dritten Rep-
likator wiederholen, bei den digitalen Memen. Wir werden uns im nächsten
Kapitel ausführlicher ansehen, wie die d-Meme die Schriftkultur in eine Di-
 
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