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auch einiges ab: ein Leben in der Isolation, geprägt von harter Arbeit, Ehe-
und Familienlosigkeit und womöglich einen frühen Tod. Der Philosoph
Martin Heidegger beschrieb in einer berühmten Vorlesung das Leben des
bedeutendsten Gelehrten der Antike mit den Worten: »Aristoteles wurde ge-
boren, arbeitete und starb.« 298 So kann man auch das Leben eines
Menschen kennzeichnen, der von den Parasiten der Schriftkultur befallen
wurde.
Natürlich verfolgen Meme genauso wenig wie Gene eigenständig das Ziel,
andere Individuen für sich »einzuspannen«. Ein solches Verhalten, der er-
weiterte Phänotyp, ist ebenfalls das Ergebnis eines evolutionären Prozesses,
in dem genau solche Replikatoren selektiert wurden, die diese »Fähigkeit«
besitzen. Die »Fähigkeit«, Menschen für ihre Reproduktion arbeiten zu
lassen, besitzen ja keineswegs alle Texte. Sie ist beschränkt auf diejenigen
Texte, die wir als »kulturell wertvoll« erachten, also historische, religiöse,
literarische oder wissenschaftliche Texte. Wo aber bleibt dabei der freie
Wille der Menschen? Der Mönch und der griechische Philosoph hatten sich
doch für dieses Leben entschieden, so wie sich viele Menschen noch heute
freiwillig in den Dienst der Schriftkultur oder anderer Biotope der Meme
stellen. Sich dafür entschieden zu haben, glaubt vielleicht auch der Rohr-
sänger, wenn er nichts anderes tut, als das übergroße Küken in seinem Nest
mit Nahrung zu versorgen. Aus memetischer Sicht entscheiden sich die
Menschen für die Arbeit in der Bibliothek, im Dienste der Philologie oder
zum Wohle des Buchmarkts, weil sie davon überzeugt sind, dass Bibliothek,
alte Texte und neue Bücher etwas Wichtiges, Erhaltenswertes oder zu
Förderndes sind. Ihr freier Wille wird von dieser Aufassung beeinlusst.
Allerdings ist diese wiederum auf die Schriftkultur selbst zurückzuführen, es
sind die Werte der Schriftkultur, die dahinterstecken, Meme, die genau diese
Schriftkultur prosperieren lassen. Produziert die Schriftkultur also die
»Freiwilligen« selbst, die sie benötigt, um sich zu erhalten?
In der folgenden Übersicht sind die bislang verwendeten Begrife für die
biologische und die kulturelle Evolution noch einmal zusammengetragen: 299
Biologische Evolution
Kulturelle Evolution
Replikator
Gen in Zelle
Mem in Gehirn
Umwelt
Natur, d.h. biologische
Ökosysteme
Kultur, d.h. menschliche Ge-
meinschaften
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