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zweiten Straßburger Münsteruhr gearbeitet hat (s. Kap. 5 ).
Seine mathematischen Kenntnisse könnte er ebenfalls in
Straßburg vertieft haben, u. a. bei dem Schweizer Mathema-
tiker Konrad Dasypodius. In Straßburg hat er vermutlich auch
den Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen-Kassel kennenge-
lernt. Dieser stellte ihn als Hofuhrmacher und Astronom ein.
Bürgis Bestallung am 25. Juli 1579 in Kassel ist die erste
erhaltene Urkunde aus seinem Leben. Erstaunlich ist dabei
das Wappen, mit dem der 27-Jährige seine Bestallung sie-
gelte. Gegenüber seinem Familienwappen, einer Eule, hat
Bürgi nämlich selbstständig seine Initialen, das halbe Zahn-
rad als Zeichen seines Berufes und zwei Sterne hinzugefügt,
als wolle er seine innerlich bereits erfolgte Hinwendung zur
Astronomie programmatisch symbolisieren. Auf der Kasseler
Sternwarte, einer der ersten festen Einrichtungen dieser Art in
Europa, beobachtete er zusammen mit dem Hofmathematiker
Christoph Rothmann die Gestirne im Auftrag des Landgra-
fen Wilhelm IV. Daneben hatte Bürgi die Messinstrumente
zu warten und neue Geräte zu bauen. Zu den von ihm neu
entworfenen Geräten zählten Uhren, Modelle des Kosmos
(als Vorgänger des Planetariums) und einige seiner berühmten
Globen ( Abb. 3.23 ) sowie neue Vermessungsinstrumente wie
ein universeller Reduktionszirkel, ein Triangularinstrument
und ein Gerät zum perspektivischen Zeichnen.
Als Bürgi nach Kassel kam, war dort schon seit etwa
20 Jahren der sehr bedeutende Uhrmacher Ebert Baldewein
tätig, der zwei mechanisch sehr bedeutungsvolle Planetenuh-
ren gebaut hatte (die erste, die er 1561 fertigstellte steht heute
noch im Astronomisch-Physikalischen Kabinett in Kassel; die
zweite, die er 1568 für Kurfürst August von Sachsen kons-
truierte, steht heute im Mathematisch-Physikalischen Salon
Dresden). Die erste ganz selbstständig von Bürgi gebaute Uhr
von 1585 weist aber viele Besonderheiten auf, die sie von
diesen beiden Vorbildern und den Uhren, die er bei seinen
bisherigen Aufenthalten studieren konnte, unterscheiden. So-
wohl in der Auslegung des eisernen Werkskörpers, als auch
in der Formgebung und schließlich in der Ausführung lässt
sich nur wenig Verwandtes mit der sonst damals in Süd- und
Mitteldeutschland üblichen Bauweise feststellen. Was be-
sonders auffällt sind der ganz ungewöhnliche Werkskörper
und die einmalig großen, besonders zarten eisernen Zahn-
räder des Gehwerks. Hier zeigt sich eine einmalige, neue,
ingenieurmäßige Auffassung des Getriebes: Verringerung der
Radmasse, Regelmäßigkeit der Zahnteilung und -form. Sie
besticht ferner durch genauestes Zentrieren und Auswuch-
ten. Bürgis Uhren weisen aber noch weitere Besonderheiten
auf: Eine Zwischenaufzugsvorrichtung ( remontoir d'égalité ),
die es ermöglicht, die ungleiche Antriebswirkung der Fe-
der vollständig auszugleichen. Federtrieb für drei Monate,
Kreuzschlag-Hemmung, Sekundenzeiger - man kann seine
Planetenuhren mit gutem Gewissen als „Analog-Computer“
bezeichnen. Mit seinen Konstruktionen war Bürgi seiner Zeit
um 100 bis 150 Jahre voraus.
Im Jahre 1591 wurde Bürgi in die Stadt Kassel eingebür-
gert, wo er laut Häuserliste von 1605 im Graben ein Haus
erwarb. In erster Ehe war er mit der Tochter des David Bra-
mer verheiratet, der Pfarrer in Felsberg bei Kassel war, 1611
heiratete er Catharina Braun. Beide Ehen blieben kinderlos.
1591 nahm er seinen jungen verwaisten Schwager Benjamin
Bramer als Plegesohn zu sich und bildete ihn in Mathematik
und Vermessungstechnik aus. Bramers Schriften enthalten
viele wertvolle Mitteilungen über Bürgis Arbeiten und Er-
indungen.
Im Februar 1592 begehrte Kaiser Rudolf II. in Prag, von
seinem Onkel in Kassel einen mechanischen Bürgi-Globus
einschließlich Planetenbewegungen vom Erbauer persönlich
überbracht zu bekommen. Bürgi konnte am 4. Juli 1592 (nach
dem damaligen Kalender) in einer persönlichen Audienz
beim Kaiser diesen Planetenglobus übergeben. Leider ging
er in den Prager Kriegswirren verloren.
Als er nach Kassel zurückkehrte, war der Astronomen-
Landgraf Wilhelm der Weise am 25. August 1592 gestorben,
und Bürgi wurde von dessen Sohn und Nachfolger, Moritz
dem Gelehrten, am 1. Januar 1593 (alter julianischer Kalen-
der) zu gleichen Bedingungen und in etwa gleichem Wortlaut
neu bestallt. In den Jahren 1596 und 1604 reiste Bürgi zu Re-
paraturarbeiten nochmals nach Prag. Am 23. Dezember 1604
Abb. 3.23 Mechanischer Himmelsglobus von Bürgi aus dem Jahre 1594
 
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