Environmental Engineering Reference
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Die in den vorhergehenden Kapiteln dargestellte Begrenztheit der fossilen Ressourcen zum
einen und der Klimawandel, ausgelöst durch die energetische Nutzung dieser fossilen Energie-
träger im Zusammenhang mit dem Ausstoß des CO 2 in die Atmosphäre, zum anderen führt
inzwischen zu einem Umdenken, nicht nur hinsichtlich unserer Energieerzeugung. Auch die
Art und Weise wie wir Werkstoffe verwenden und welche Werkstoffe wir verwenden wird
zunehmend hinterfragt. War es in der Vergangenheit noch ausreichend neue Produkte zu ent-
wickeln, die in Bezug auf ihre eigentliche Aufgabe bzw. Anwendung besser waren als ver-
gleichbare Produkte aus früheren Produktgenerationen, so kommen heute aufgrund dieser
Randbedingungen neue Notwendigkeiten hinzu, die insbesondere Energie- und Ressourceneffi-
zienz und damit die Ökologie der Werkstoffe betreffen. Tabelle 3 zeigt wichtige Stoffströme
der Menschheit mit dem Schwerpunkt biogener Werkstoffe im Vergleich mit wichtigen nicht-
biogenen Stoffen mit zumindest mittlerer Wertschöpfung (d. h., dass z. B. mineralische Grund-
stoffe wie Calciumcarbonat mit einem Preis von 100 €/t nicht erfasst sind). Die Ermittlung der
exakten weltweiten pro-Kopf-Abfallmenge ist komplex, daher wurde zur Gewinnung einer
Vergleichsgröße eine sehr grobe Näherung angestellt: Die Gesamtabfallmenge pro Einwohner
und Jahr beträgt in der EU27 5,237 t/a. Unter der Annahme eines weltweiten Mittelwerts von
der Hälfte der Abfallmenge pro Einwohner in der EU27 von rund 2,6 t/a wäre die Abfallmenge
von 18,2 Milliarden t/a immer noch ein deutlich größerer Stoffstrom als der der Energieträger
Kohle und Rohöl. Die Betrachtung zielt darauf ab zu verdeutlichen, dass in industrialisierten
Ländern Abfall ein bedeutender Stoffstrom ist, dessen Bedeutung für die Gewinnung von
Grundstoffen zukünftig voraussichtlich zunehmen wird.
In diesem Buch werden nun biogene Werkstoffe in der ganzen Breite aller chemischen
Stofffamilien dargestellt, die die Natur zur Verfügung stellt. Natürlich muss bei den biogenen
Werkstoffen die Frage gestellt werden, ob die Erzeugung eines biogenen Werkstoffs, der auf
den ersten Blick aufgrund seines biogenen Ursprungs „per se“ anderen, nicht biogenen Werk-
stoffen überlegen erscheinen mag, nicht an irgendeiner Stelle zu nachteiligen Effekten führt,
die den positiven Effekt des biogenen Werkstoffs überkompensieren. Dieser Frage widmet sich
Kap. 2.9 im Hinblick auf die Ökobilanzierung (siehe Bild 40). Sie soll im Rahmen dieses
Werks nicht erschöpfend behandelt werden, insbesondere nicht für alle betrachteten Werkstof-
fe, da die Ökobilanzierung beispielsweise durch die Frage der Grenzziehung der Betrachtung
(Systemgrenze) sehr komplex ist. Exemplarisch wird daher in Kap. 7.1 die Ökobilanz eines
Joghurtbechers aus dem biogenen Thermoplast Polymilchsäure (PLA) betrachtet sowie in
Kap. 16.5 die Ökobilanz eines biogenen duroplastischen Harzsystems.
In manchen Fällen lässt sich durch die Einführung neuer Werkstoffe gleich ein mehrfacher
positiver Effekt erzielen. So sind z. B. naturfaserverstärkte Kunststoffe (siehe Kap. 4.1.11), die
im Automobilinnenraum eingesetzt werden, durch die Verwendung der Naturfaser zumindest
teilweise biogen - die meisten Systeme beinhalten noch petrochemische duroplastische oder
thermoplastische Matrices. Darüber hinaus sind diese Materialien aber auch sehr leicht und
tragen so zu einer Energieeinsparung durch verminderten Kraftstoffverbrauch über den Le-
benszyklus des Automobils bei.
Den Werkstoffen selbst kommt demnach wie oben dargestellt bei Innovationen eine große
Bedeutung zu. Sie ermöglichen neue Funktionalitäten, mehr Komfort und Sicherheit, Ge-
wichtseinsparung und dadurch z. B. in Kraftfahrzeugen niedrigeren Kraftstoffverbrauch. Nicht
nur im Werkstoff selbst, auch in dessen Nutzungsart steckt ein großes Potential - insbesondere
im Hinblick auf die Problemfelder fossile Ressourcen und Klimawandel. Diesem Innovations-
potential von Werkstoffen, das in dessen Nutzungsansatz steckt - deren Möglichkeiten natür-
lich auch von der Zusammensetzung bzw. der Materialkomposition des Werkstoffs abhängt -
widmet sich Kap. 2.8 Nutzungskonzepte für Werkstoffe.
 
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