Environmental Engineering Reference
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Ökologische Aspekte
Die Nutzung von Stärke in energetischer oder werkstofflicher Form steht immer in Konkurrenz
zu der Nutzung als Nahrungsmittel, was oft - wie auch bei anderen Lebensmitteln wie Zucker
- mit dem Schlagwort „Tank oder Teller“ bzw. „Plastics or Food“ zum Ausdruck gebracht
wird. Diese Diskussion wird bezüglich Stärke im Wesentlichen im Zusammenhang mit Bio-
kunststoffen geführt. Stärke dient als Ausgangstoff für Stärkeblends und andere Biokunst-
stoffmischungen, aber auch als Fermentationsrohstoff für die Herstellung von Milchsäure.
Diese kann zur PLA polymerisiert werden (Kap. 7.1). Stärke kann auch als Fermentationsroh-
stoff zur Herstellung von Biokunststoffen wie Polyhydroxyalkanoaten (Kap. 5.1) verwendet
werden, die direkt fermentativ erhalten werden können. Hier ist auch zu beachten, dass An-
wendungen von Stärke außerhalb der Nahrungsmittelherstellung schon seit langer Zeit existie-
ren, wie z. B. als Additiv in der Papierindustrie, ohne dass die Nahrungsmittelkonkurrenz-
Diskussion in der Vergangenheit geführt wurde. Festzuhalten ist, dass Stärke als Lebensmittel
dient und eine Nahrungsmittelkonkurrenz existiert, sofern nicht Brachflächen speziell zum
Zweck der Biokunststoff-Erzeugung reaktiviert werden. Aber auch dann ist zu berücksichtigen,
dass die Weltbevölkerung zunimmt, die Ackerflächen zurückgehen und das Flächendefizit
landwirtschaftlicher Nutzflächen größer wird (siehe Kap. 1.3).
Tragetaschen aus Stärke-Kunststoffen können grundsätzlich solche aus Polyethylen ersetzen.
In einigen Schwellenländern und auch in Italien führte dies zu einem Verbot von Tragetaschen
aus petrochemischen Kunststoffen in Supermärkten ab 2011, das aber in Italien nun erst ab
Ende 2012 wirksam wurde [184] und dessen Nichtbeachtung erst ab 2014 bestraft werden soll
[185]. In Deutschland wurde durch Verbände der Kunststoffindustrie diese Initiative damit
kommentiert, dass in Deutschland mit dem Grünen Punkt ein leistungsfähiges Rücknahmesys-
tem existiert und daher eine solche Maßnahme nicht notwendig sei [186]. Ein Rücknahmesys-
tem existiert tatsächlich, allerdings schließt das Vorhandensein eines Rücknahmesystems nicht
aus, dass Stoffe nicht in den Kreislauf zurückgeführt werden, sondern in die Umwelt gelangen.
Wenn es also technisch und ökonomisch möglich ist, einen nur sehr schwer abbaubaren Kunst-
stoff wie Polyethylen durch einen abbaubaren Biokunststoff zu ersetzen (auch wenn dieser
evtl. nur als Blend, d. h. als Mischung, ggf. auch mit nicht-biogenen Komponenten, vorliegt)
dann ist der Ersatz sinnvoll. Hinzu kommt, dass Tragetaschen Produkte mit einer äußerst kur-
zen Nutzungsdauer sind. Das bedeutet, dass die Erzeugung des Produkts und die Entsorgungs-
situation gegenüber äußerst langlebigen Produkten aus Kunststoff wie z. B. LKW-Ölwannen
und Kunststoff-Fenstern, bei denen die Nutzungsphase meist den ökologischen Gesamteffekt
dominiert, d. h. das Ergebnis der Ökobilanz (Kap. 2.9) bestimmt, hier an Gewicht gewinnen.
Speziell für ein Stärkeblend-Halbzeug (Granulat) wurde unter diesen Randbedingungen eine
Environmental Product Declaration (EPD) veröffentlicht [187], [188], [189]. Ist eine EPD, die
den Lebensweg nur bis einschließlich der Herstellung betrachtet (also bis zum Werkstor, „from
cradle to gate“, siehe Kap. 2.9) für Produkte wie Kunststoff-Fenster durch die Dominanz der
Nutzungsphase bei diesem langlebigen Produkt nur begrenzt aussagefähig, so kann sie für den
Halbzeug-Hersteller, dessen Zwischenprodukte (Halbzeuge) zu verschiedenen Endprodukten
verarbeitet werden, durchaus sinnvoll sein. Im konkreten Fall ergaben sich für einen Stär-
keblend ein Gesamtenergiebedarf von 66,0 MJ pro Kilogramm produziertes Material (stoffli-
che und energetische Komponente) und die in Tabelle 59 dargestellten Umweltwirkungen.
Unter Upstream-Prozessen wird die Gewinnung und Aufarbeitung nicht erneuerbarer Rohstof-
fe, die Herstellung von Halbzeugen und deren Transport sowie Anbau und Ernte der nach-
wachsenden Rohstoffe, Halbzeugherstellung und deren Transport verstanden. Der Kernprozess
ist die Herstellung des Stärkeblend-Halbzeuges einschließlich dessen Verpackung und der
Downstream-Prozess die Distribution des Produkts [187], [188].
 
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