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Die starke Abhängigkeit der Glasübergangstemperatur der Biopolymere vom Wassergehalt
aufgrund der polaren Gruppen, die Wasserstoffbrückenbindungen ausbilden können, erklärt die
Bezeichnung „hydroplastische Polymere“ [108]. Bild 90 zeigt diese sehr stark ausgeprägte
Abhängigkeit für Wolle, die man beim Bügeln von Wollbekleidung (wie auch bei Baumwolle,
siehe Kap. 4.1 Cellulose) nutzt. Durch den Dampf des Bügeleisens erfolgt ein Feuchtigkeitsan-
stieg in der Wolle und die Glasübergangstemperatur wird deutlich abgesenkt. Im Zusammen-
wirken mit der Wärme des Bügeleisens nimmt dadurch der zur Glättung des Gewebes notwen-
dige Druck durch die wesentlich größere Beweglichkeit der Polymerketten oberhalb der
Glasübergangstemperatur stark ab. Das Entfernen von Bügelfalten wird möglich. Umgekehrt
sind Falten, die sich z. B. nach einer Autofahrt im Sommer in einer Wollhose gebildet haben,
nach dem Aussteigen aus dem Auto und dem Verlust an Feuchtigkeit sehr „haltbar“ und erst
wieder durch einen „gründlichen“ Bügelvorgang zu entfernen [7], [106]. Im Gegensatz zum
Bügeln von Baumwolle (Cellulose) kommt bei der Wolle noch ein weiterer Effekt hinzu. Wie
dargestellt ist Wolle besonders reich an Cystein und darauf basierenden Disulfidbrücken zwi-
schen den Proteinketten. Darauf beruht die Formstabilität von Wollgeweben, was diese für die
Herstellung von Bekleidung, die faltenfrei erscheinen soll (wie Herrenanzüge, Damenkleider
und -kostüme), prädestiniert. Sind aber erst einmal Falten im Gewebe, müssen diese auch
durch die Umgruppierung von Disulfidbrücken wieder entfernt werden. Beim Bügeln von
Wolle ist dadurch im Vergleich zum Bügeln von Baumwolle ein höherer Druck oder ein höhe-
rer Wassergehalt des Gewebes erforderlich. Man kann also das Bügeln von Wolle in erster
Näherung als chemischen Vorgang (kovalente Bindungen werden gebrochen und nach Um-
gruppierung neu geknüpft) und das Bügeln von Baumwolle eher als physikalischen Vorgang
(keine Veränderung des Polymers, „lediglich“ Veränderung in der Struktur der Wasserstoff-
brücken) ansehen [106].
Das Aufbrechen von Disulfidbrücken durch reduzierende Verbindungen (z. B. Ammonium-
thioglykolat) in der amorphen Matrix (nicht aber im kristallinen Teil des Keratins) wird auch
zum Umgruppieren der Haarstruktur bei der Herstellung von sogenannten Dauerwellen mit
Hilfe von Lockenwicklern genutzt. Dieser Prozess geht mit einer starken Quellung des Haares
einher. Nach dem Spülen mit Wasser wird mit Hilfe von z. B. Wasserstoffperoxid oxidiert und
die neue Struktur fixiert. Die neu gebildeten Disulfidbrücken haben jedoch etwas größere Bin-
dungsabstände, da sie im gequollenen Zustand geknüpft wurden. Dadurch geht die Verform-
barkeit schrittweise zurück und damit nimmt bei bereits behandeltem Haar die Wirkung der
Dauerwelle ab. Wie beim Bügeln werden auch bei der Dauerwelle organische Schwefelverbin-
dungen abgespalten, was den charakteristischen Geruch bei der Entstehung der Dauerwelle
erklärt [106].
 
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