Geography Reference
In-Depth Information
2004) werden Nutzungs- und Produktionspraxen geographischer Visualisierun-
gen sowie deren Bedingungen zunehmend hinsichtlich der durch sie erst ge-
schaffenen raum-zeitlichen Wirklichkeit diskutiert. Für die Geographie ist dieser
„turn“ daher weniger eine neue Hinwendung zum Bild, bzw. zu Bildlichkeit
oder, allgemeiner, zur visuellen Sinneswahrnehmung - Geographie war und ist
ein bildbezogenes Fach. Vielmehr zeigt sich hier das Bestreben, zu einem kriti-
schen und reflexiven Umgang mit geographischer Visualisierung und Visualität
zu gelangen. Insbesondere die visuellen Produkte wissenschaftlichen Tuns sind
Gegenstand dieser neuen kritischen Reflexion und stehen im Zentrum einer Aus-
einandersetzung, die von einem mimetischen Bildverständnis abkehren und die
Kontingenz und Machtbezogenheit von Darstellungen vor Augen führen will.
Visuelle Produkte, Karten insbesondere, werden als Instrumente der Herstellung
von Weltwissen und als machtvolle Mittel der Welterzeugung verstanden, die
weniger einer Realität, als den jeweiligen disziplinären Techniken, Konventio-
nen und Kodifizierungen folgen (Schelhaas/Wardenga, 2007; Großer 2007).
Die geographischen Bildprodukte tragen einen hohen Geltungs- bzw. Wahr-
heitsanspruch in sich, sie sind Behauptungen über Aussehen und Anordnung von
Welt. Ihr Bildcharakter, ihre Bildhaftigkeit geraten dabei allerdings in den Hin-
tergrund, verleugnen sich quasi habituell. Dies erfordert eine willentliche Durch-
brechung der vermeintlichen Evidenzen, ebenso wie die kritische Reflexion der
insbesondere mit materiellen Bildern notwendig verbundenen Perspektivität,
Gerichtetheit und Selektion. Deren Wirken und Wirksamkeit bedarf fortgesetzter
theoretischer Aufarbeitung, die den Modus der Visualisierung selbst sowie die
Herstellungspraktiken und nicht nur deren Inhalte berücksichtigt (Schlott-
mann/Miggelbrink 2009).
Im Sinne dieser Entwicklung vom Bildgebrauch zur Bildkritik hat sich in den
letzten Jahrzehnten eine „kritische Kartographie“ entwickelt, die sich -nachdem
im anglophonen Diskurs bereits die Arbeiten von Harley (1988; 1989) oder
Wood (1992) wegweisend waren - nun auch verstärkt im deutschen Sprachraum
entwickelt (Glasze 2009). Denn besonders kartographische Produkte halten die
materiellen Manifestationen sozialer Praktiken scheinbar objektiv und unhinter-
gehbar "fest", sie sind visuelle Medien der Raumproduktion und -fetischisierung
und machen die Ursachen räumlich-manifest(iert)er Phänomene zugunsten ihrer
bloßen Abbildung unkenntlich (vgl. z. B. Belina, 2007). Aus dieser kritischen
Perspektive formiert sich seit Ende des 20. Jahrhunderts in den Sozialwissen-
schaften die Einsicht, dass Produzenten wie Interpreten habituell gleichermaßen
an einer Raumproduktion beteiligt sind, die ihnen zumeist unvermeidbar, "natür-
lich" und als "auf der Hand liegend" erscheint. Ziel der kritischen Ansätze ist es
daher, Regeln, Normen und Logiken der bildhaften Verräumlichung und deren
essentialisierende Effekte transparent zu machen: Kritische Kartographie unter-
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