Geography Reference
In-Depth Information
1994). Das wiedererkennende Sehen berücksichtigt den inhaltlichen Bildsinn,
die Semantik des Bildes bzw. was gemeint und gezeigt wird. Wir erkennen Ge-
genstände wieder, die uns vor der Bilderfahrung vertraut sind. Wir sehen und
erleben im Bild, was wir schon kennen. Die Gesetze des dabei Sichtbaren ent-
stammen also nicht dem Bild. In dieser Hinsicht werden Bilder im Sinne der
ikonographisch-ikonologischen Interpretationsmethode Erwin Panofskys in
einem Dreischritt erschlossen, über das vorikonische Verständnis (die natürliche
Bedeutung), die ikonographische Ebene (die konventionelle Bedeutung) und die
ikonologische Ebene (die symbolische Bedeutung).
Anders ist es beim sehenden Sehen. Hier entstammen die Gesetze des Sicht-
baren dem Bild selbst. Das sehende Sehen berücksichtigt den formalen Bildsinn,
die Syntaktik des Bildes, die Art und Weise, wie etwas dargestellt ist. In dieser
Hinsicht werden Bilder mit der formalen Interpretationsweise erschlossen. Ge-
genstände sind als solche gleichgültig, es geht vielmehr um die Komposition, um
die Bedeutung von Linien, Farben, Ebenen für den Aufbau eines autonomen
Blick- und Bildraumes. Diese Unterscheidung zwischen den Ordnungen des
Sichtbaren erinnert an die Unterscheidung von natura naturata und natura na-
turans bzw. von parole parlee und parole parlante, die nur zu Analysezwecken
getrennt voneinander gedacht werden, in der Praxis aber nicht getrennt sind (vgl.
Waldenfels 1994: 136). Und auch in der Sehpraxis fließen diese beiden extremen
Zugangsweisen ineinander .
„Der gemeinte Bildsinn realisiert sich in einer Bildstruktur auf eine Weise, dass das Gemeinte
auf neue Weise gesehen wird; (…) Die Synthese von wiedererkennendem und sehendem Sehen liegt
also darin, dass Bekanntes (Gehörtes, Gesehenes) sowohl in den Bildsinn eingeschlossen ist als auch
durch einen komplexen und verdichteten Bildsinn überboten wird“ (Waldenfels 1994:135).
In dieser doppelten Sichtweise wird eine Abkehr möglich, von einem Sehen, das
in der Welt der Dinge befangen bliebe. Dabei führt diese Abkehr nicht in eine
andere Welt, sondern bewirkt eine andere Einstellung zur Welt. Betrachten wir
das Sehen in dieser Weise, so spiegelt die Ordnung des Bildhaften sich in der
Ordnung des Sichtbaren.
Waldenfels geht nun der Frage nach, unter welchen Voraussetzungen es ein
sehendes Sehen geben kann, das nicht nur wiedererkennt oder Neues sieht, son-
dern das auf neue Weise sieht. Etwas auf neue Weise zu sehen, heißt, die
Sehordnung zu wechseln. Sehen wir etwas Neues, so ist das Neue ein WAS. Die
Sehordnung gründet in einer vorgegebenen Ordnung der Dinge, die immer schon
Sichtbarkeit verleiht und verbürgt. Sehen wir etwas auf neuartige Weise, so ist
das Neue ein Wie und impliziert eine Veränderung der Sehordnung, in die das
Sichtbare eingelassen ist. Nur wenn die Ordnung des Sehens weder materialiter
noch formaliter dem Sehen und Bilden vorgeordnet ist, sondern mit dem Sehen
Search WWH ::




Custom Search