Geography Reference
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keine kontrolliert vollzogene bewusste Wahrnehmung der umgebenden Land-
schaft mehr erforderlich macht […].“ (SZ 2011). Eine ganz ähnliche Funktion
ermöglichen multimediafähige Mobiltelefone, indem bevorzugte Kulturstätten
und Einkaufsmöglichkeiten in Bezug zum Standort des Benutzers angezeigt
werden können. Der erheblich vereinfachte Zugang zu Wissen und die gestiege-
nen Visualisierungsmöglichkeiten des Geographischen bedingen so nicht nur
veränderte Qualitäten der Raumrepräsentationen, sondern auch erhebliche Er-
weiterungen des Raumwissens und der Alltagspraktiken der Nutzer. Im Folgen-
den sollen die Konsequenzen diskutiert werden, die sich aus diesen Entwicklun-
gen für die Kommunikation geographischen Wissens und die Konstruktion einer
gemeinsamen Wirklichkeit ergeben.
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Entstandardisierung raumbezogener Kommunikation
und Pluralisierung von Raumvorstellungen
Der Wandel der geographischen Wissenserzeugung und -verbreitung von „klas-
sischen“ geographischen Darstellungsformen zu digitalen Geomedien lässt sich
auf der Ebene der visuellen Darstellung vor allem als eine De-Abstrahierung, im
Sinne einer qualitativen Anreicherung der visuellen Repräsentation mit individu-
ellen Erfahrungen und Erzählungen beschreiben. Damit ist eine Entwicklung
benannt, die auf der Ebene der raumbezogenen Kommunikation auch als Prozess
der Entstandardisierung bezeichnet werden kann. Während „klassische“ Karten
eine Konventionalisierung der visuellen Darstellungsform und eine spezifische
Sehkultur voraussetzen, lässt sich in Bezug auf die Rezeptionspraktiken im In-
ternet eine Entwicklung beschreiben, die deutliche Parallelen zu Reichertz' Be-
obachtungen von Infographiken aufweist. Am Beispiel der Infographik beobach-
tet er eine Rezeptionspraxis, die er metaphorisch durch eine Ablösung eines
„gehorchenden Blicks“ durch einen „flanierenden“ oder gar „marodierenden
Blick“ fasst. Der „flanierende Blick“ unterwirft sich nicht einfach einem „Blick-
regime“ (Reichertz 2007: 282), „weil der über die Graphik gleitende Blick weder
von einem bestimmten Ziel getrieben noch von einem Punkt unwiderstehlich
angezogen ist (ebd.: 281).“ Der orbitale Blick, wie er als „Inbegriff der visuellen
Aneignung der erdräumlichen Welt“ (Miggelbrink 2009: 185) gilt, erfährt durch
die unterschiedlichen Präsentationsweisen der kartographischen Medien des
geowebs eine Pluralisierung. Sinnbildlich wird dies besonders bei Geodiensten
wie Google Street View deutlich, die buchstäblich ein Flanieren im virtuellen
Raum und die Simulation subjektiver Blickachsen ermöglichen.
Vor diesem Hintergrund ist es fraglich, ob Geomedien im Internet eine über-
individuelle Sinnorientierung im Sinne Bergers und Luckmanns (2004: 41) leis-
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