Geography Reference
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ell eine Verschiebung von ikonischen zu indexikalischen Bezügen beobachtet
werden. Während sich die Darstellungspraktiken geographischer Karten zu-
nächst besonders durch Ähnlichkeiten mit der Topographie des abgebildeten
Raums auszeichnen, geht diese seit der Frühen Neuzeit zunehmend verloren:
‚Narrative' Elemente, im Sinne einer bildlichen Erzählung der mit den Orten
verbundenen geschichtlichen Praktiken und Erfahrungen, werden ausgeblendet:
Vom 15. bis zum 17. Jahrhundert verselbstständigt sich die Karte. Zweifellos hat die Verbreitung
von ‚narrativen' Figuren, mit denen die Karte lange Zeit geschmückt war (Schiffe, Tiere und Perso-
nen aller Art), immer noch die Aufgabe, auf kriegerische, bauliche, politische oder geschäftliche
Aktivitäten […] hinzuweisen. […] Aber die Karte siegt immer mehr über die Abbildungen; […] sie
eliminiert nach und nach die bildlichen Darstellungen derjenigen Praktiken, die sie hervorgebracht
haben“ (de Certeau 1988: 224).
In Bezug auf den alltäglichen Gebrauch von geographischen Karten bedeutet
eine Abstraktion auf der Ebene der visuellen Darstellung jedoch gerade nicht
eine Ablösung vom physisch-geographischen Raum, sondern ganz im Gegenteil,
erst jetzt wird ein durchgängig indexikalischer Bezug zwischen Repräsentation
und repräsentiertem Raum gewährleistet: Mit dem Hier auf der Karte wird ein
Hier im entsprechenden Territorium verbunden (Dünne 2008: 57). Erst dadurch
kann eine überindividuelle Verständigung und Lesbarkeit von Räumlichkeit
gewährleistet werden. Ortsfremde können sich beispielsweise mithilfe eines
Stadtplans über den eigenen Standpunkt, über das „Hier“, „Dort“ und „Dorthin“
verständigen. Es lässt sich folglich vermuten, dass Karten nicht nur der Orientie-
rung im Raum dienen, sondern vor allem der raumbezogenen Koordinierung von
Handlungen. Kartographie lässt sich dann ganz im Sinne Bergers und Luck-
manns als eine Art von Sprache oder als Zeichensystem verstehen, mit dem
Handlungen intersubjektiv abgestimmt werden können: „Durch Sprache kann ich
die Kluft zwischen der Zone meiner Handhabung und der des Anderen überbrü-
cken“ (Berger/Luckmann 2004: 41). Dabei ist jedoch entscheidend, dass es sich
bei den indexikalischen Bezügen zwischen Karte und Territorium nicht um na-
türliche Indizes handelt, also - in Anlehnung an de Certeau - gerade nicht um
die Spuren derjenigen Praktiken, die das geographische Wissen hervorgebracht
haben, sondern um ein arbiträres, weitgehend konventionalisiertes Zeichensys-
tem. Die Standardisierung der Darstellung setzt auch aufseiten der Aneignung
folglich einheitliche Praktiken des Gebrauchs und die Entwicklung und die Teil-
habe der gesellschaftlichen Akteure an einer spezifischen „Lese-“ bzw. besser
„Sehkultur“ voraus. Es lässt sich deshalb vermuten, dass die Entwicklung der
modernen Kartographie, wie „jede neue visuelle Präsentationsweise [auch] eine
neue Kultivierung des Blicks […] mit sich bringt“ (Reichertz 2007: 282). Die
Akteure erlernen einen bestimmten Umgang mit den Karten als Raumrepräsenta-
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