Geography Reference
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Karte als Raummedium
Traditionell dienen Karten dazu, die Welt erfahrbar, (er)fassbar und - auch real-
politisch - beherrschbar zu machen: „maps, through visual abstraction, have
traditionally been used to contain the material world“ (Gordon 2009: 398). Mit
der Entstehung der Kartographie werden einzelne Elemente des geographischen
Raums in der symbolischen Ordnung der Karte verortet: Die Karte wird zu ei-
nem „Gesamt-Schauplatz, auf dem die ursprünglich disparaten Elemente vereint
sind, um ein Bild vom ‚Stand' des geographischen Wissens zu geben“ (de Certe-
au 1988: 225). Die Kartographie stellt somit den gesellschaftlichen Wissensvor-
rat des objektivierten geographischen Wissens zur Verfügung. 6 Wie die Sprache
bietet sie dem Einzelnen unaufhörlich „Vorfabrikationen“ (Berger/Luckmann
2004: 40) für subjektive Raumerfahrungen. Als grundlegenden Modus identifi-
zieren Berger und Luckmann dabei den Vorgang der „Typisierung“, d. h. die
Möglichkeit subjektive Erfahrungen in Kategorien einzuordnen, „mittels deren
sie nicht nur für mich, sondern auch für meine Mitmenschen Sinn haben“ (ebd.:
41), sodass diese prinzipiell von jedem verstanden werden können. Was bedeutet
dies nun für die visuelle Darstellung von geographischen Daten? Aufseiten der
Herstellung von Karten setzt Verständigung notwendig eine Standardisierung der
Präsentationsregeln voraus. In Bezug auf die symbolische Ordnung der Karte
lassen sich dabei vor allem zwei Mechanismen beobachten: Eine Abstraktion
von den darzustellenden landschaftlichen bzw. geographischen Räumen und eine
In- bzw. Exklusion von raumbezogenen Topographien, Praktiken und Erfahrun-
gen, die jeweils als „relevant“ oder „nicht relevant“ angesehen werden. 7 Die
historische Entwicklung der Kartographie seit der Frühen Neuzeit lässt sich in
diesem Sinne als eine stetige Verfeinerung geographischer Visualisierungstech-
niken begreifen (Gordon 2009: 399). Insgesamt kann dabei zumindest tendenzi-
6 Es liegt nahe, dass damit auch Machteffekte verbunden sind. Mit Foucault lassen sich geographi-
sche Karten beispielsweise als diskursive Ordnungen bezeichnen (vgl. dazu auch: Foucault 1978:
26), die ein bestimmtes wissenschaftliches Wissen vom Raum präsentieren. Machtinstrumente sind
Karten dann insofern, als sie ein Wissen auf bestimmte, wissenschaftlich legitimierende Weise
darstellen.
7 In Anschluss an Luhmann (2008: 50) ließe sich dieser Vorgang auch als Prozess einer Komplexi-
tätsreduktion beschreiben. Kommunikativ unerschlossene Bereiche bleiben dann - zumindest für die
Geographie - „blinde Flecken“ der Beobachtung. Dies ist vielleicht auch der Grund, warum sich die
walisischen Bewohner des beschaulichen Dorfes in Christopher Mongers Film „Der Engländer, der
auf einen Hügel stieg und von einem Berg herunterkam“ (1995) so beharrlich wie charmant gegen
die Einstufung des benachbarten Berges Ffynnon Garw als „Hügel“ und damit als zu klein für die
Aufnahme in eine Karte zur Wehr setzen. Nichts bleibt unversucht, die eingereisten englischen
Kartographen mit allen Mittel der Verführungs- und Sabotagekunst im Dorf zu halten, um den Hügel
zwischenzeitlich an die erforderlichen Maße anzupassen.
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