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Raumwissen und visuelle Wissenssoziologie
Will man den Wandel von gesellschaftlich konstruiertem Sinn verstehen, gilt es
die Bereiche zu untersuchen, in denen das jeweilige Wissen konstituiert und
kommuniziert wird (Berger/Luckmann 2004: 124f.). Entsprechend interessiert
aus der Perspektive einer visuellen Wissenssoziologie besonders eine „visuelle
Pragmatik” (Schnettler 2007: 189, vgl. auch Burri 2008: 345), d. h. die Frage,
welche Rolle Praktiken der Visualisierung von Wissen im Alltagshandeln der
Akteure einnehmen und ob bzw. wie sich die damit verbundene gesellschaftliche
Konstruktion von Wirklichkeit verändert. Den zentralen Ausgangspunkt für die
genannten Ansätze einer Wissenssoziologie des Visuellen bildet die grundlegen-
de Gesellschaftsdiagnose, dass Techniken der Visualisierung in der Gegenwarts-
gesellschaft zunehmend eine Schlüsselrolle für die Konstituierung und Kommu-
nikation von Wissen zukommt: „die technischen Medien und ihre Bilder [sind]
zu elementaren Formen der Aufzeichnung und Vermittlung, der Aneignung und
des Verstehens von Wirklichkeit geworden; und es sind kaum noch Inhalte und
Wissensbestände, Vorgänge und Ereignisse von individueller, gemeinschaftli-
cher oder gesellschaftlicher Bedeutung vorstellbar, die nicht unmittelbar bildlich
dokumentiert, ausgestaltet und kommuniziert werden (können)“ (Raab 2008:
21). Dies betrifft beispielsweise den Einsatz von bildgebenden Verfahren in
Medizin (vgl. Burri 2001; Burri 2008) und Forschung (vgl. Knorr-Cetina 2001)
oder bei der Kommunikation von Wissensinhalten in Form von PowerPoint-
Präsentationen (vgl. Schnettler et al. 2007), Infografiken (vgl. Reichertz 2007).
Vor allem die Entstehung von computergestützten Kommunikationsformen treibt
die Bedeutung von Visualisierungen in der Gegenwartskultur voran (Schnettler
2007: 190, Schnettler/Pötzsch 2007: 472; vgl. Knoblauch 2005: 331). Günstige
Personal Computer mit leistungsstarken Grafikkarten und multimediafähige
Mobiltelefone ermöglichen für eine wachsende Anzahl von Menschen den Kon-
sum und die Produktion von digitalen Bildern, Animationen oder dreidimensio-
nalen Visualisierungen (vgl. Burri 2001: 342; Dodge/McDerby/Turner 2008:
5f.). Technische Errungenschaften wie das Internet haben nicht nur eine zuneh-
mende Verbreitung, sondern auch eine gestiegene Bedeutung des Wissens her-
vorgebracht. 4
4 Aus soziologisch-zeitdiagnostischer Perspektive sind die Weiterentwicklungen im Bereich der
Informations- und Kommunikationstechnologien eng mit der Diagnose der Wissensgesellschaft
verknüpft (Häussling/Lenzen 2010: 219). In Bezug auf die Rolle der Medien werden dabei insbeson-
dere die Vor- und Nachteile und die Qualität der Informationsflut auch auf Seiten der Rezipienten
diskutiert: Einerseits wird positiv bewertet, dass sozialen Akteuren durch das Mehr an medial ver-
breitetem Wissen auch mehr Handlungsspielräume geöffnet werden (Stehr 2001: 8ff.), indem sie
grundsätzlich einen verbesserten Zugang zum gesellschaftlichen Wissensvorrat bekommen. Anderer-
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