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vorstellen, dass die zentralperspektivische Darstellungstechnologie nur eine
unter anderen kulturspezifischen Repräsentationsformen und eben nicht
„objektive Abbildung“ der Wirklichkeit ist. Zu sehr sind wir damit vertraut. Wir
sind damit so sehr vertraut, dass wir die Zentralperspektive zum
kulturtechnischen Gerät gemacht und die Fotografie als juristisch wirksames
Beweismittel für die Wahrheit installiert haben.
Ebenso ist aus heutiger, insbesondere Lehrer- oder Hochschullehrerper-
spektive schwer vorstellbar, dass es ohne maschinelle Vervielfältigung des
Wissens in Form gedruckter Bücher gar keine Notwendigkeit für eine Alpha-
betisierung der Bevölkerung und Einrichtung entsprechender Institutionen
gegeben hätte, weil ein durch handschriftliches Kopieren hergestelltes Buch viel
zu teuer war, als dass die Masse der Bevölkerung damit hätte versorgt können.
Das Medium Buch wäre so knapp verfügbar geblieben, dass es gar keinen Sinn
gemacht hätte, wenn allzu viele Menschen über die (inzwischen zur Kultur-
technik gewordene) Medienkompetenz des Lesens verfügten. Erst durch
Gutenbergs Erfindung und die daraus folgende Möglichkeit, Bücher in Masse
produzieren zu können, konnte Johann Amos Comenius im 17. Jahrhundert auf
die für damalige Verhältnisse immer noch radikale Idee einer Schule für alle
Kinder gekommen, die eben diese Medienkompetenz zum Umgang mit der
Informations- und Kommunikationstechnologie Buch vermittelt.
Gerade an diesem Beispiel zeigt sich deutlich, dass die kulturellen und
sozialen Folgen einer bestimmten Medientechnologie unter Umständen erst in
größeren historischen Zusammenhängen ersichtlich werden. Die Institution
Schule ist, zumindest in der gegenwärtigen Form der allgemeinbildenden Schule,
im weiteren Sinn ein (Neben-)Produkt der Medientechnologie des Buchdrucks,
das erst mit einiger zeitlicher Verzögerung gegenüber dem „Technology
Trigger“ im 15. Jahrhundert entstanden ist. Das lässt sich - wenn auch wissen-
schaftlich nicht haltbar - recht gut anschaulich machen mittels des als „Techno-
logy Hype Cycle“ bekannt gewordenen Werkzeugs, dass Jackie Fenn zwecks
Bewertung der Einführung neuer Technologien für die US-Unternehmens-
beratung Gartner Group entwickelt hat (Fenn & Raskino 2008).
Nach Fenn verläuft die Aufmerksamkeitskurve bei der Einführung einer
neuen Technologie typischerweise nach diesem Muster: Die Kurve steigt
anfangs explosionsartig an, knickt dann aber zunächst ab um ebenso schnell
wieder zu fallen. Nach dieser Phase steigt die Kurve erneut, aber langsamer an
und führt schließlich zu einem mittleren Niveau der Verstetigung. Fenn hatte
damit das Platzen der dot.com-Blase im Jahr 2000 schon frühzeitig vorhersagen
können.
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