Geography Reference
In-Depth Information
Muss man an die Autofahrer erinnern, die mit ihrem Navi mitten im Wald
oder gar im Fluss gelandet sind? Garmin und TomTom kennen einige Straßen
und Hausnummern nicht, weil irgendwann einmal ein Fehler eingegeben wurde.
Straßen ändern sich, ihren Verlauf, ihre Vernetzung, ihre Fahrtrichtung. „Nach
20 Metern links abbiegen“ sagt die Stimme Gabi und lenkt damit in die Leit-
planke einer vierspurigen Straße; wenn der Fahrer doch noch bei eigenen Sinnen
war, verlangt die Stimme kurz danach: „Kehren Sie wenn möglich um!“. Be-
kommt ein solcher Autofahrer bei einem Unfall mildernde Umstände attestiert
oder Fahrlässigkeit oder eigene Schuld?
„Bei Sinnen sein“, heißt nicht nur, ein Hindernis oder eine falsche Pro-
grammierung sofort und unter dem rollenden Rad erkennen. Bei Sinnen sein
heißt auch, eine Sache selbst mit Sinn füllen, etwas subjektiv sinnvoll machen, je
nach Absicht und Kontext.
Angenommen, alle fahren bei ihrer TransAlpin-Tour dem Autorouting nach,
dann werden sie auch alle in derselben Hütte schlafen und erstaunt sein, wie voll
es dort ist - eine andere Art Lonely-Planet -Effekt. Das System hat ja nicht nach
Opportunität oder als Zufallsgenerator gearbeitet und die Gäste nicht nach dem
Gesetz der Entropie, also der maximalen Mischung, ordentlich verteilt. Das tut
zwar eine Papierkarte auch nicht, aber da gibt es den Zufallsfaktor durch Nicht-
programmierung; es kommt, wie es kommt. Oder der Alpin-Radler organisiert
sich und fährt bewusst antizyklisch.
Es gibt weitere Bedenken gegen das Autorouting: Die Tipps können werbe-
gesponsert sein; das US-Militär kann beschließen, die GPS-Auflösung zu ver-
gröbern oder zu stören oder ganz abzuschalten ( GPS-Jammer und GPS Spoo-
fing ); der GPS-Empfang kann durch starke Schneefälle gestört werden. Die aus-
reichende bis überzeugende Genauigkeit für den zivilen Gebrauch hat ein so
starkes pragmatisches Potential, dass der User blind wird für die Verletzlichkei-
ten des Systems. Er hat im Übrigen auch meist keine Alternative mehr. Bei star-
kem Schnee und Akkuausfall ist die Information beendet (bzw. verschiebt sich
zurück auf die Ressource Autoatlas im Handschuhfach).
Andererseits zeigt die praktische (und ironische) Erfahrung: Fast nichts ist
verletzlicher, als ein Geograph mit Karte und Kompass. Geländeübungen auf
Gomera mit selbstständiger Kompassnavigation führen regelmäßig in die Bar-
rancos (unbegehbare Schluchten), in undurchdringliche Macchie und brombeer-
bewehrte Terrassenruinen.
Wenn jemand beides - GPS und Kompass - hat und bedienen kann, nennt
man das dann klug oder redundant oder überflüssig? Und ist es überhaupt eine
Frage des Werkzeugs oder aber eine Frage der Steuerung und des Bewusstseins
des Menschen?
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