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Auch zwei Ziegen werden uns auf der weite-
ren Fahrt begleiten. Da viele Leute ausgestie-
gen sind, können wir uns zwei Plätze neben-
einander aussuchen, dann geht die Fahrt in
der Dunkelheit weiter. Nach zwei Stunden
biegt der Lastwagen plötzlich in einen um-
zäunten Platz ein. Strohmatten werden aus-
gerollt, die Passagiere wickeln sich in ihre
Decken ein. Auch wir machen es uns gemüt-
lich - so gut es eben geht. Die Nacht ist eis-
kalt, die Temperaturen dürften nur geringfü-
gig über dem Gefrierpunkt liegen.
Ich weiß nicht, ob wir überhaupt geschla-
fen haben, jedenfalls sind wir nicht unglück-
lich, als um vier Uhr morgens der Fahrer das
Hupzeichen zum Weiterfahren gibt. Alle stei-
gen auf, und los geht es. Schon bald wird es
heller und der Tag bricht an. Das Morgenlicht
hüllt die Landschaft in warme Farben. Die
Steppenlandschaft wird von einer trockenen
Vegetation auf sandigem Boden abgelöst.
Vereinzelt sehen wir Oktopusbäume, eine
Sukkulentenart, die ihre Äste tintenfischartig
in die Luft streckt und deren kleine Blätter
und dicke Dornen direkt an den wenigen
Ästen wachsen.
Gegen sieben erreichen wir den Mango-
ky-Fluss, welcher einen großen Teil Südwest-
madagaskars entwässert. Der Lastwagen hält,
und wir müssen zu Fuß über das sandige,
jetzt trockene Flussbett bis zum Anlegeplatz
der Fähre gehen. Die Helfer des Fahrers le-
gen Sandbleche vor die Räder des Lasters,
damit dieser nicht im Sand einsinkt. Der Fluss
ist jetzt nur etwa fünfzig Meter breit, wird
aber während der Regenzeit etwa auf das
Zehnfache anschwellen und das volle Fluss-
bett überschwemmen. Mit Bewunderung be-
obachten wir, wie der Fahrer den Lastwagen
die steile Böschung hinab auf die Fähre - ein
Holzfloß auf Kanistern mit Außenbordmotor
- manövriert; wir tuckern auf die andere
Flussseite.
Im Dorf am anderen Ufer machen wir ei-
nen Frühstückshalt. An einem der vielen Es-
sensstände erstehen wir uns heißen Kaffee
und ein frisches Reisküchlein. Die Weiter-
fahrt durch die trockene Landschaft wird be-
schwerlicher: Die Straßenqualität nimmt fort-
laufend ab, unsere Geschwindigkeit verrin-
gert sich zusehends. Es wird auch wieder
heiß, und die unbequemen Bänke lassen
uns das Ziel herbeisehnen.
Wir staunen, dass die meisten Dörfer, die
wir passieren, eine Grundschule besitzen.
Meist ist es gar das einzige gemauerte Ge-
bäude im Ort. Später werden wir erfahren,
dass aber trotzdem nur etwa ein Drittel der
Kinder eingeschult wird und kaum ein
Zehntel eine weiterführende Schule be-
sucht. Die Alphabetisierung der Kinder ist
vielen Madagassen kein Anliegen, denn
Kinder sollen Zebus hüten, Feuerholz su-
chen oder in der Landwirtschaft mithelfen.
Unser Fahrer ist abgelöst worden, und
wir müssen schmerzlich feststellen, welch
großer Unterschied zwischen einem guten
Fahrer und einem Anfänger besteht. Die
Geschwindigkeit halbiert sich, und wir wer-
den viel schlimmer durchgeschüttelt als
vorher. Aber niemand regt sich auf, die
Leute nehmen alles gelassen hin.
Obwohl es schon gegen zwei Uhr zu-
geht, haben wir noch nicht zum Essen an-
gehalten. Sind wir etwa schon bald am Ziel,
sodass ein Halt sich nicht mehr lohnt?
Doch nein! Leider halten wir doch noch in
einem Dorf, und die Passagiere stürzen
sich in die Straßenlokale, um eine große
Portion Reis mit wenigen schlechten
Fleischstückchen zu essen. Wir sind von
der Fahrt so erschöpft, dass wir nur etwas
trinken wollen und uns auf dem Markt eine
Banane kaufen. Staunend schauen wir dem
Fahrer zu, wie er eine doppelte Portion von
trockenem, ungesalzenem Pappreis in ei-
nem unglaublichen Tempo hinunter-
schlingt - Zeit zum Kauen bleibt ihm kaum
bei der rasanten Geschwindigkeit, mit wel-
cher er den Löffel zwischen Teller und
Mund hin und her bewegt.
Die nächsten Stunden der Fahrt sind für
uns eine reine Tortur, und als wir in der Fer-
ne unser Reiseziel erkennen, sind wir über-
glücklich. Dabei sind wir noch gut wegge-
kommen. Von anderen Touristen hören wir,
dass ihre Fahrt von Pannen unterbrochen
wurde und so einen Tag länger dauerte.
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