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Lebendig im selben
Haus, tot im selben Grab
Nach den Glaubensregeln der Einwanderer
musste dies geschehen, denn der Vorfahre
war aus Java gekommen und somit ein
„Havava“ (Verwandter), dessen Seele keine
Ruhe finden kann, ehe sie sich nicht im Fa-
milienkreis befindet. Das tiefe Gefühl der
Zusammengehörigkeit der Familie („Fiha-
vanana“) in der madagassischen Lebens-
philosophie drückt sich in der Regel aus:
„Velona Iray Trano, Maty Iray Fasana!“
(„Lebendig im selben Haus, tot im selben
Grab“).
Ebenso wie ihre Ahnen ertragen es auch
die heutigen Madagassen nicht, wenn ei-
ner von ihnen fern des Ahnengrabs beer-
digt liegt. Die Rückkehr sterblicher Über-
reste ins Familiengrab ist ein freudvolles,
fröhliches Ereignis. Wenn ein Angehöriger
aber fern der Heimat stirbt und keine Mög-
lichkeit besteht, ihn heimzuholen, ist das
Anlass zu tiefer Trauer. Viele Madagassen
mussten der Weltkriege in Frankreichs Ar-
mee kämpfen und fielen fern der Heimat.
Mit gewaltigem Aufwand wurden die
Leichname der Soldaten feierlich zurückge-
holt und in madagassischen Familiengrä-
bern bestattet. Trotz der schlimmen Um-
stände war es immer ein fröhliches Fest. Fa-
milien, deren Angehörige gestorben und
deren Leichname nicht heimgeholt werden
konnten, veranstalteten dagegen Trauerfei-
ern, während derer zu Ehren des Verstorbe-
nen weithin sichtbare Gedenksteine („Vato-
lahy“ = aufgerichtete Felsen) nahe des Fa-
miliengrabes aufgestellt wurden. Sie sollen
die Familien für alle Ewigkeit an den in der
Ferne verstorbenen Ahnen erinnern.
Von Dr. Beby Soa Saholy Raminosoa,
Dozentin an der Universität in Antananarivo
Allgemein wird das madagassische Wort
„Famadihana“ als „Umwendung der To-
ten“ ins Deutsche übersetzt. Es gibt aber
viele Möglichkeiten, das Wort auf Deutsch
wiederzugeben: Transfer von dieser in eine
andere Welt, Umbettung, Umwendung,
neue Leichentücher, neues Grab … All die-
se Übersetzungen geben aber nicht die tie-
fe philosophische Bedeutung wieder, die
die Famadihana in der Lebens- und Denk-
weise der „Ntaolo“ (Urahnen) Madagas-
kars besonders vor der Ankunft des Chris-
tentums hatte und in weiten Bereichen bei
den Merina noch heute hat.
Die vermutlich zwischen dem 9. und 13.
Jahrhundert eingewanderten Indonesier
haben diese Tradition nach Madagaskar
gebracht. Mündlich ist überliefert, dass
ein hoch angesehener Einwanderer aus Ja-
va kurz nach seiner Landung bei Maroant-
setra (der Name des Ortes heißt: „Wo man
viele Seufzer hört!“) den Tod fand und dort
bestattet wurde. Seine Angehörigen aber
wanderten weiter ins Hochland, wo sie sich
niederließen. Sie vergaßen aber ihren Vor-
fahren nicht, sondern kamen viele Jahr-
zehnte später zurück, um den Leichnam in
ihre neue Heimat zu bringen. Dort wurde
er in ein „Fasandrazana“ (Ahnengrab)
nordöstlich des Familienhauses gebettet.
sche Leintücher eingewickelt und fei-
erlich von der gesamten Familie durch
das Dorf getragen. Bei diesem Fest
werden ihm in der Zwischenzeit neu
angelegte Felder gezeigt, neugebore-
ne Kinder vorgestellt, der Dorfälteste
berichtet, was sich seit dem Tod oder
der letzten Umwendung des Ahnen
ereignet hat. In einer Dorfprozession
wird der Leichnam vom Grab zum Fa-
milienhaus gebracht und von Musik-
und Tanzgruppen begleitet. Ähnlich
wie beim Begräbnis opfert die Familie
Zebu-Rinder, die häufig den gesamten
Jahresverdienst der beteiligten Fami-
lienmitglieder ausmachen. Während
des mehrtägigen Festes haben alle Fa-
milienangehörigen Gelegenheit, dem
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