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Einwanderer, Vorfahren der heutigen Indo-
nesier, Philippiner und Madegassen. Sind sie
vielleicht nonstop über den drittgrößten
Ozean der Erde gekommen?
Um dieser kühnen Theorie den waghalsi-
gen Beweis folgen zu lassen, haben Bob und
sein Freund Chico Hansen, ein 55-jähriger
Künstler rund um den Indischen Ozean, in Fi-
scherdörfern und Werften, aber auch in Mu-
seen und Bibliotheken geforscht. Dabei sind
sie auf die historischen Vorbilder der „Sari-
manok“, uralte Bootsfunde in Malaysia und
auf den Philippinen gestoßen. Auch die welt-
berühmten Steinreliefs des altjavanischen
Borobudur-Tempels konnten wichtige Hin-
weise auf solch ein austronesisches Schiff lie-
fern.
Ganz ohne Metallteile, Eisennägel und
Kunststoff haben schließlich philippinische
Handwerker das 20 Meter lange Auslegerka-
nu zusammengebaut. Fünf Kilometer Natur-
fasertauwerk und Rattanrinde sind in der „Sa-
rimanok“ verarbeitet, so benannt nach dem
Wundervogel, der in der Sagenwelt der süd-
ostasiatischen Muslime das Symbol für Mut,
Ausdauer und Zauberkraft ist.
Mit einem strammen Südostpassat in den
Palmfasersegeln, 2700 Liter Trinkwasser in
Tonkrügen und Kalebassen unter Deck sowie
- Teil des historischen Experiments - „stein-
zeitlichem“ Proviant aus Reis, Sojabohnen,
Trockenfisch und Dörrobst sind wir Anfang
Juni 1985 von Bali aufgebrochen. Unter der
teilweise neuen, neunköpfigen Besatzung,
der ich als einziger Deutscher angehöre, ist
auch die englische Ernährungswissenschaft-
lerin Sally Crook, 34. Schlauchboot, Rettungs-
insel und Satellitensender, der „Sarimanoks“
tägliche Position nur einer Bodenstation in
Frankreich, nicht aber uns mitteilt, sind die
wenigen Zugeständnisse an moderne Tech-
nik und Sicherheitsbestimmungen.
Nach zwei Schönwettertagen weiß jeder,
auf was er sich eingelassen hat. Ein Sturmtief
nach dem anderen, Böen und Regen peit-
schen die See. Brecher schlagen ins Boot.
Wir ziehen auf das Dach der Bambuskajüte,
um nicht im Schlaf zu ertrinken - sofern
Schlaf überhaupt möglich ist. Nach einer Wo-
che Regen ist unsere Haut ebenso aufge-
weicht wie die Segel. Der Proviant verdirbt,
ohne Sonne und Sterne wird genaues Navi-
gieren unmöglich. Wir fühlen uns misera-
bel und trösten uns mit der Vermutung,
dass es den alten Austronesiern nicht bes-
ser ergangen sein konnte.
Colin Putt, ein 59-jähriger Wissenschaft-
ler aus Neuseeland, ist an einem heimtücki-
schen Fieber erkrankt und verliert plötzlich
minutenlang das Bewusstsein. Um sein Le-
ben zu retten, beschließen wir, vom ge-
planten Direktkurs abzuweichen und ihn
auf den Kokos-Inseln abzusetzen. Gerade
noch rechtzeitig erreichen wir nach einer
Woche in Gewittern und hohen Wellen die
flachen Atolle. Colin kann nach Australien
ausgeflogen werden. Uns erscheinen die
palmenumsäumten Inseln wie das Paradies
schlechthin.
Um so schwerer ist es dann, nach Versor-
gung unserer Wunden, Reparaturen und
Auffrischen der Vorräte unser eigentliches
Ziel ins Bewusstsein zurückzuholen. Wir
setzen die zigfach geflickten Segel und
nehmen den einsamen Kurs nach Westen
wieder auf. Gnadenlos hält uns der unver-
ändert launische Ozean in seiner Gewalt.
Sally hat mit ihrer Rolle als einzige Frau
an Bord weniger Probleme als mit der Auf-
gabe des Kochens. Bewundernswert, dass
sie trotz Brecher und Regens das offene
Feuer in Gang hält und uns bis auf eine
Ausnahme täglich zwei „austronesische“
Mahlzeiten serviert. Keiner der Männer will
mit Sally tauschen. Sie wiederum hätte
nichts gegen das Ziehen von rauem Tau-
werk und die anstrengende Ruderwache
rund um die Uhr einzuwenden. Genügend
Proteine und Vitamine soll, so hat Sally uns
überzeugt, das mitgeführte Essen ja in sich
bergen. Doch nach den ersten Wochen hat
die Eintönigkeit der Verpflegung unserer
Vorbilder, die wir nur ganz selten mit fri-
schem Fisch aufbessern können, quälende
Tagträume geweckt: wir lechzen nach Ku-
chen, Koteletts, Bier, Kaffee, selbst nach
Kartoffeln, und nach fein gedeckten,
trockenen Tischen!
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