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Die Sarimanok-
Expedition
nung, auch wenn die See sich beruhigt hat.
Mindestens fünf Sturmböen sind in dieser
Nacht über uns hergefallen.
Seit Verlassen der indonesischen Insel Bali
verbringen wir nun schon über 40 Tage auf
dem Indischen Ozean. Regen und die aufge-
wühlte See bestimmen den täglichen Rhyth-
mus. Die Moral an Bord steigt und fällt mit
dem Luftdruck, die Sorge um das Ausleger-
boot wächst.
Im Bug flackert ein Licht auf, im Wider-
schein wirken Mast und Segel gespenstisch
groß. Bob flucht, als er das nasse Holz in der
offenen Feuerstelle anfachen will. Endlich
hangelt er sich über das auf und ab tanzende
Bambusdeck nach achtern und reicht mir ei-
ne Kokosschale mit heißem Tee. Welche
Wohltat.
„Wann werden wir Madagaskar sichten?“
„Hält das Boot durch?“ Keiner spricht die Fra-
gen aus, doch jeder denkt sie, hundertmal
am Tag.
18 Monate ist es her, seitdem Bob Hob-
man mir auf der kleinen Urwaldinsel Tawi-Ta-
wi im Südwesten der Philippinen von seinem
Plan erzählt hat: „Mit diesem Boot werde ich
beweisen, dass die alten Austronesier schon
vor 2000 Jahren auf direktem Kurs über den
Indischen Ozean nach Madagaskar segeln
konnten!“
7000 Kilometer über offene See, in ei-
nem nur aus Holz, Naturfasern und Bambus
gebauten Fahrzeug, mit Palmblattsegeln, oh-
ne moderne Navigationsinstrumente, ohne
Funk und Uhren, nur mit den Gestirnen als
Richtungsweiser, nur von Passatwinden und
Meeresströmung vorangetrieben!
Eine völlig verrückte Idee, urteilten die Ex-
perten. Doch Bob Hobman, 44-jähriger Jour-
nalist und Abenteurer, ließ sich nicht beirren
in seinem Plan, die etablierte Wissenschaft
zu korrigieren.
Zwar ist seit langem unbestritten, dass Ma-
dagaskar in vorchristlicher Zeit bereits von
Südostasiaten besiedelt wurde. Auffällige
Parallelen in Sprache, Aussehen und Brauch-
tum der Menschen beiderseits des Indischen
Ozeans beweisen dies. Rätselhaft blieb indes
die Reiseroute der ersten austronesischen
Bei der Ozeanografischen Station nahe An-
doany (Hell-Ville) auf der Insel Nosy Be
liegt ein stark verfallenes Auslegerboot. Es
wurde Mitte der 1980er Jahre von einer
Abenteurer- und Forschergruppe nach der
Maßgabe gebaut, den vor etwa 2500 Jah-
ren im südostasiatischen Raum üblichen
Booten möglichst nahe zu kommen. Die
Expedition wollte beweisen, dass es schon
vor mehreren tausend Jahren möglich war,
den Indischen Ozean zu überqueren und
auf dem Seeweg aus Südostasien nach Ma-
dagaskar zu gelangen. Der Beweis glückte.
Ohne Motor, ohne neuzeitliche Naviga-
tionsgeräte und Funkverbindung überquer-
te die „Sarimanok“ mit neun Besatzungs-
mitgliedern in sieben Wochen den Indi-
schen Ozean von Bali bis Madagaskar. Al-
leiniger Antrieb war der Südostpassatwind
von Osten. Albrecht G. Schaefer, ein deut-
scher Journalist und einer der Expeditions-
teilnehmer, schildert die abenteuerliche
Reise in allen Einzelheiten in seinem span-
nend zu lesenden Buch „Sarimanok - Eine
Seereise wie vor 2000 Jahren“ (erschienen
2000 als Taschenbuchausgabe in der Edi-
tion Sierra im Verlag Frederking und Thaler,
München).
„Sarimanok“ -
Das Schiff der Vorfahren
Von Albrecht G. Schaefer
Völlig durchnässt kauere ich an der Pinne
und versuche, die vom Salzwasser bren-
nenden Augen aufzuhalten. Ich sehne mich
nach dem Morgen, nach Sonne. Noch
steht fahl und wolkenverhangen der Voll-
mond über dem Horizont. Unruhig wippt
der hölzerne Vogelkopf, die Galionsfigur
der „Sarimanok“ über den Wellen. Das
Boot stöhnt und ächzt in einer langen Dü-
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