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SOuthwArk - „thE BOrOuGh“
Die literarische Geschichte von Southwark
beginnt im 14. Jh. mit den „Canterbury
Tales“ von Geoffrey Chaucer: Die 29 Pil-
ger, die vom Gasthof Heroldsrock (Tabard
Inn) nach Canterbury zum Schrein des
200 Jahre zuvor ermordeten Erzbischofs
Thomas Becket aufbrechen, wollen ihre
Reise kurzweiliger gestalten und beschlie-
ßen, dass ein jeder von ihnen auf dem
Hinweg und auf dem Rückweg zwei Ge-
schichten zu erzählen habe. Um einen zu-
sätzlichen Anreiz zu schaffen, verspricht
Harry Bailly, der Wirt vom Tabard's, dem
besten „storyteller“ als Preis eine opulen-
te Mahlzeit in seinem Gasthof. Chaucers
„Canterbury Tales“, neben Dantes „Gött-
licher Komödie“ und Boccaccios „Decame-
rone“ eines der bedeutendsten Werke der
mittelalterlichen Weltliteratur, vermitteln
dem Leser ein facettenreiches Bild vom
Alltagsleben der Menschen in der dama-
ligen Zeit.
Southwark, am südlichen Themseufer
gelegen, ist annähernd so alt wie die City,
doch während in jener der Lord Mayor
und die Gilden streng über die Moral der
betuchten Bürger wachten und Handel
wie auch das private Leben reglementier-
ten, tummelten sich auf der gegenüberlie-
genden Seite des Flusses Gaukler, Schau-
spieler und Geächtete - hier fand das „ge-
meine“ Volk seine Vergnügungen.
Southwark verläuft rund um das süd-
liche Ende der London Bridge, die ja über
Jahrhunderte hinweg die einzige Them-
seüberspannung der Hauptstadt dar-
stellte. Durch dieses Nadelöhr strömten
Händler und Bürger ins Herz der Metro-
pole; von Southwark aus (von jeher nur
„The Borough“ genannt, da dieses Quar-
tier Londons erster Vorort war) verliefen
die Ausfallstraßen an die Südküste und
zu den Häfen, die England mit dem Konti-
nent verbanden. The Borough beherberg-
te Postkutschenstationen, viele Tavernen
und die Gasthöfe, in denen das fahrende
Volk Unterkunft fand, bevor der Gang in
die City angetreten wurde oder die Reise
durchs Land begann. Und wer nach an-
strengender und gefahrvoller Fahrt hier
sein Ziel erreicht hatte, den verlangte es
nach Müßiggang, Erholung, Klamauk
und Unterhaltung. Dafür, dass dies mög-
lich war, hatte die Reformation gesorgt:
Die ausgedehnten Ländereien am südli-
chen Flussufer hatten einst der katholi-
schen Kirche gehört und gingen im Zuge
der Klosterauflösungen an die Anglikani-
sche Staatskirche über. Damit unterstand
Southwark dem Klerus und nicht der Ge-
richtsbarkeit der City. The Borough entwi-
ckelte seine Markenzeichen, die vier „P“:
Pubs, Prisons, Prostitutes, Playhouses.
Die Bischöfe von Winchester, aufgrund
ihrer defizitären Haushaltspolitik stän-
dig von Finanzsorgen geplagt, bereicher-
ten sich an den „unmoralischen“ Aktivi-
täten des Volkes: Die Gewinne aus 29 Bor-
dellen flossen zum größten Teil in die bi-
schöfliche Schatulle. Die zumeist aus
Holland und Frankreich „importierten“
Mädchen, die hier arbeiteten, waren im
Volk unter der Bezeichnung „Winchester-
Gänse“ stadtbekannt. Gute Einnahmen
versprachen auch die berühmt-berüch-
tigten Schuldgefängnisse, unter anderem
das King's Bench, das Marshalsea und
das Clink - wer hier einsaß, hatte auch
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