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Hömma, watt willze
da machen? Ruhr-
deutsch für Anfänger
Auch wenn es den Ruhrgebietsbewohner
gar nicht gibt und sich in den langen Pha-
sen der Zuwanderung im 19. und 20. Jahr-
hundert eine sehr heterogene Gesellschaft
gebildet hat, gibt es doch den typischen
Ruhrgebietsdialekt. Spätestens seit Jürgen
von Manger als Adolf Tegtmeier und Elke
Heidenreich als Metzgersgattin Else Strat-
mann weiß man im ganzen Land um den
speziellen Charme der lokalen Mundart.
Die Menschen des Ruhrgebiets sind ein
redseliges Völkchen, das ein gepflegtes
Schwätzchen schätzt. Diese Freude am Ge-
spräch schlägt sich nieder in ausgesproche-
nem Sprachwitz, in Schlagfertigkeit und der
Kreation anschaulicher Formulierungen.
Der besondere Klang des Ruhrgebiets-
deutsch mit seinen vielfältigen Ursachen ist
von der neueren Sprachwissenschaft längst
mit Hingabe untersucht worden. So exis-
tiert an Ruhr und Emscher der zweite Fall,
der Genitiv, nicht. In der Konsequenz wird
aus „Vaters Haus“ „mein Vatta sein Haus“
oder „dat Haus von mein Vatta“. „Vatta“
verzichtet am Ende auf das -r, da im Ruhr-
gebiet das -r nur zu Beginn einer Silbe,
nicht aber innerhalb der Silbe oder am
Schluss gesprochen wird. Eine wichtige Re-
gel, hilft sie doch dem Besucher, bedeuten-
de Ortsnamen des Ruhrgebiets richtig aus-
zusprechen, etwa „Dooatmunt“, „Düüs-
buach“ oder „Gellsenkiiachen“. Diese Ei-
genart der eingeschränkten r-Sprechung
geht zurück auf das Niederdeutsche, das
bereits vor der ersten Einwandererwelle im
Ruhrgebiet gesprochen wurde. Hier wur-
zelt auch die Geringschätzung, um nicht zu
sagen das Fehlen des Dativs. Vor Ort be-
kennt man selbstironisch: „Man gewöhnt
sich an allem, auch am Dativ“:
Neben dem eigenwilligen Umgang mit
Fällen ist für das Ruhrgebietsdeutsch eine
051rg Foto: tk
starke Verkürzung von Formulierungen
charakteristisch. So werden bestimmte und
unbestimmte Artikel an vorausgehende
Verhältniswörter (Präpositionen) und Bin-
dewörter (Konjunktionen) angehängt: He-
raus kommt dann etwa „anne Füße“, „inne
Bude“ oder „ummen Hals“ und ein vielfach
über die Maßen schnelles Sprechtempo,
bei dem ein Wort ins andere übergeht.
Zum besonderen Kommunikationsklima
im Ruhrgebiet gehört auch die Anschau-
lichkeit vieler Begriffe und Ausdrücke. So
wird aus dem VW Käfer der „Kugelpor-
sche“, das Fitness-Studio ist die „Mucki-Bu-
de“, und wer zum Ausdruck bringen will,
dass etwas Unglaubliches vorgefallen ist,
der bekennt, dass „meine Omma inne Ei-
gernordwand hängt“.
Aber auch, wenn es vielleicht manchmal
schwer fällt, den Ruhrgebietswortschatz
restlos zu durchdringen, wichtig ist für den
Revier-Reisenden eigentlich nur, dass er
sich nicht durch imitiertes Ruhrdeutsch an-
zubiedern versucht. Das durchschaut ein
Revierbewohner sofort. Und im Übrigen
weiß er sehr wohl, wie seine Sprache im
Hochdeutschen eigentlich klingen müsste,
aber es ist ihm herzlich egal. „Watt willze
da machen?“
￿ Buchtipp: Wer sich dennoch näher
(theoretisch) mit dem sympathischen Idi-
om befassen will, greife zu „Ruhrdeutsch“,
erschienen in der Kauderwelsch-Reihe des
R EISE K NOW -H OW Verlags.
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