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Die Renaissance (wörtlich: „Wie-
dergeburt“ der klassischen, römisch-
griechischen Antike) wird bis heute als
die epochale Errungenschaft der Flo-
rentiner verklärt. Die knallharte ökono-
mische Basis, die eine solche „Glanz-
zeit“ überhaupt erst ermöglichte -
nämlich Arbeit, Leid und Ausbeutung
der Armen und Ärmsten, der Lohnar-
beiter, Tagelöhner und Leibeigenen -
wird dabei gern übersehen. Und
ebenso die Tatsache, dass die Renais-
punkt der Dinge sieht (Humanismus,
Wissenschaft, Künste), aber auch Fort-
schritt durch Rückschritt (nämlich in
die Vergangenheit). Die politischen
und gesellschaftlichen Errungenschaf-
ten des Trecento werden nicht nur
nicht weiterentwickelt, sondern regre-
dieren; Florenz und die Toscana wer-
den zu einem lebenden Anachronis-
mus, der eine leichte Beute der euro-
päischen Großmächte wird, die Italien
unter sich aufteilen.
Von der Stadtrepublik zum Feudalstaat
Als die Kommunen den Landadel enteigneten, entstand ein neuer Stadtadel, der seine
Legitimation nicht mehr aus verliehener oder vererbter Macht, sondern aus unterneh-
merischem Reichtum bezog. Ein Teil des Adels war aber geschickt genug, seinen Besitz-
stand nicht nur zu wahren, sondern zu mehren, auf der anderen Seite strebten die neu-
reichen Händler und Bankiers unverhohlen nach dem Status derer, die sie einst unter-
drückt hatten. Wie die Kommunen Kaiser und Papst, Feudaladel und Bischöfe gegen-
einander ausspielten, tricksten sich in den Städten die Stände gegenseitig aus. Da der
„natürliche“ Bundesgenosse des aufstrebenden Besitzbürgertums der „Popolo“, das
Volk, war, kam es schon im 12. Jh. zu ersten taktischen Allianzen und „basisdemokrati-
schen“ Mitbestimmungsmodellen (Geldadel und „rechtschaffene Bürger“ gemeinsam
gegen Adel oben und „Plebs“, d. h. besitzlose Bauern, Handwerker und Handlanger,
unten). Von „Demokratie“ konnte allerdings keine Rede sein, schon eher von einem
„Kastensystem“ wie in Indien; wahlberechtigt war maximal ein Drittel der Einwohner
(die, die lesen und schreiben konnten und/oder in Zünften organisiert waren), den
großen Rest bildete das recht- und besitzlose Lumpenproletariat.
Im 14. Jh. waren die Arbeits- und Lebensbedin-
gungen der Massen derart unerträglich geworden,
dass es zu immer heftigeren Aufständen nicht nur
gegen die Unternehmer, sondern gegen das System
selbst kam. 1378 revoltierten die Ciompi, die Woll-
weber von Florenz, und rissen kurzfristig die Macht
an sich. Von da an war es nur noch eine Frage der
Zeit, bis sich der Geldadel mit dem Feudaladel zu-
sammentat und eine neue städtische Oligarchie bil-
dete, aus deren Reihen sich erst „Berufspolitiker“
und dann neue „Berufsherrscher“ herausdestil-
lierten. Ein parlamentarisches „Gewissen“ blieb in
Form des Rats, als Alibi, doch schon die ersten Me-
dici, die Cosimo nachfolgten, führten sich auf wie
die Feudalherren (s. Abb., Lorenzo il Magnifico).
 
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