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Die Menschen
Selbstgenügsamkeit und Bodenstän-
digkeit haben sich unwiderruflich in
den Charakter der Menschen einge-
brannt. Toscani sind nicht überschäu-
mend vor Temperament, wie man sich
„Italiener“ vorstellt, eher zurückhal-
tend, nüchtern, distanziert, dabei aber
klar, wach, aufmerksam. Fragt man sie
wie es geht, stoßen sie ein kurzes
non
c'è male
heraus („nicht schlecht“) zum
Zeichen, dass die Dinge zum besten
stehen; nie würden sie auf die Idee
kommen, ihren Wein, ihre Olivenernte
oder auch nur ihren Gemütszustand
als vorzüglich zu preisen. Kein Zufall,
dass das Italienische in der Toscana
entstanden ist und dass dort noch
heute das reinste und klarste Italie-
nisch gesprochen wird. Jeder Form
von Obrigkeit traditionell abhold, sei
es seitens des Staats oder der Kirche,
zählten weder Untertanengeist noch
religiöser Fanatismus (Ausnahmen:
Siena, Savonarola) je zu ihren Charak-
terzügen. In der Toscana entstanden
im Mittelalter die ersten demokrati-
schen Regierungsformen auf europäi-
schem Boden und gründete sich in der
Neuzeit die Italienische Kommunis-
tische Partei und der erste organisier-
te Widerstand gegen den Faschismus.
Selbstbewusstsein ohne Überheb-
lichkeit, maßvolle Zurückhaltung, Klar-
heit der Sprache, des Denkens, des
Bauens, der Landschaftsgestaltung -
kein Wunder, dass Florenz zur Ge-
burtsstätte des Humanismus und des
Wiederentdeckens der Antike wurde:
Ratio, Geometrie, Harmonie; Einheit
von Wissenschaft, Kunst und Ge-
schäftssinn.
Zu Landschaft und Häusern passen
die Menschen - bodenständig, kantig,
aber auch sanft - bzw. umgekehrt ha-
ben sich die Menschen zu ihnen pas-
sende Häuser und Landschaften ge-
schaffen. Im welligen Hügelland der
Toscana gibt es nichts im Überfluss,
aber „von allem etwas“ - Eisen, Zinn,
Kupfer, Marmor, Weizen, Öl, Wolle,
Leder, Wasser, Holz, Obst, Fleisch,
Fische, Geflügel. Selbstversorgung
und Individualismus, aber auch Sinn
für Maß(halten) und Gerechtigkeit
(gerechte Einteilung) sowie handfestes
Nutzdenken (Nüchternheit, Sparsam-
keit) sind in den
Toscani
seit jeher tief
verwurzelt.
Die mittelalterliche
Mezzadria,
die
Teilungswirtschaft oder Halbpacht
(
mezzo
= halb; der Grundherr stellt
den Bauern Land, Haus, Geräte und
Saat, am Jahresende wird die Ernte ge-
teilt) erlöste die Toscana einige hun-
dert Jahre früher aus der Leibeigen-
schaft als Nord- und Süditalien (oder
das übrige Europa), brachte aber auf-
grund der beschränkten geografi-
schen Gegebenheiten anders als dort
weder Großgrundbesitz noch Feuda-
lismus hervor.
Padroni
und
Contadini,
Herren und Bauern, entwickelten sich
nicht auseinander, sondern blieben
einander ähnlich. Selbst der Luxus der
Signori
in den Städten blieb einfach,
rustikal, der Natur verbunden, genau
wie ihre viel gerühmte Küche. Die tos-
canische Villa war ursprünglich nur ein
befestigtes Bauernhaus mit Küchen-
garten.