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ders enge und gefährliche Kurve San
Martino mit Matratzen gepolstert), und
ganz Siena fiebert immer hektischer
dem Ereignis entgegen und schmückt
sich mit den Farben und Flaggen der
Contrade. Drei Tage vor dem Rennen
werden im Beisein der Honoratioren
der Stadt die Pferde ausgewählt und
den Jockeys (fantini) zugelost, die tradi-
tionell Ortsfremde sind (und noch heu-
te zumeist aus der Maremma stam-
men). Am Abend desselben Tages be-
ginnt das erste von fünf Proberennen
(an den folgenden Tagen jeweils um 9
und 19 Uhr), und am Vorabend, nach
der letzten großen Probe, ziehen sich
die teilnehmenden Parteien in ihre
Contrada zurück, um dort an langen
Tischen ausgiebig zu tafeln und zu ze-
chen. Man trinkt sich Mut zu, schließt
Wetten ab, versucht das Pferd der Kon-
kurrenz außer Gefecht zu setzen oder
den gegnerischen Jockey zu bestechen
- fast alles ist erlaubt, wie beim Rennen
selbst, und fast alles ist in der Geschich-
te des Palio schon vorgekommen.
Wenn am entscheidenden Tag um
15 Uhr die Glocken des Rathausturms
läuten, werden in den Kirchen der
Contrade die Pferde eingesegnet und
beginnen die letzten Kostüm- und Or-
chesterproben für den historischen
Umzug, den Corteo Storico, der sich
bald darauf zum Domplatz in Bewe-
gung setzt, um dem Erzbischof die Re-
ferenz zu erweisen. Tamboure, Fahnen-
schwinger, Bannerträger, Knappen, Pa-
gen, Reiter, Lanzenträger, Trommler,
Trompeter, Heerführer und Zunft-
repräsentanten - alle haben ihre festge-
legten Aufgaben, Kostüme und Acces-
soires, alles ist Ritual und Geschichte,
nichts ist dem Zufall überlassen. Zu
Füßen des Rathauses drängen sich wie
Sardinen gut und gern 50.000 Schau-
lustige in der Mitte der Arena sowie auf
Tribünen, Balkonen, Brüstungen, Zinnen
und Dachvorsprüngen rund um den
Platz. Um 20 Uhr hören die Glocken auf
zu läuten, und wenn nach zahllosen
Fehlstarts das Startseil fällt und die an die
Jockeys verteilten Ochsenziemer in Akti-
on treten, gibt es kein Halten mehr und
die Stimmung auf dem Platz nähert sich
dem kollektiven Wahnsinn. Nur der Sieg
zählt, entscheidend ist nicht der Reiter,
sondern das Ross, das die Nase vorn hat.
Ekstase, Triumphgeheul, Kollaps, Ohn-
macht, Tränen, Hysterie, Beschimpfun-
gen, Racheschwüre - die ganze Stadt
hallt wider von hemmungslosen Emotio-
nen. Doch damit ist der Palio noch nicht
zu Ende. Nach der feierlichen Ehrung
der Sieger versammelt man sich zu ei-
nem Te Deum im Dom (beim Juli-Palio in
Santa Maria di Provanzano), und danach
wird in den Stadtteilen lautstark bis in die
frühen Morgenstunden gefeiert oder der
Schmerz betäubt. Die Erste-Hilfe-Station
des Krankenhauses hat in Palio-Nächten
Hochbetrieb.
Hinweis !
Wer ärgstem Gedränge und stunden-
langer Warterei in glühender Hitze zu-
mindest halbwegs entgehen will, sehe
sich entweder nur die Proberennen an
(das Ereignis selbst wird live im TV über-
tragen) oder miete sich (am besten
schon ein Jahr zuvor) für einige hundert
Euro einen Tribünenplatz. Ein Formel-1-
Rennen ist nichts dagegen! Der „Drang“
nach einem dritten Palio im September
ist daher verständlicherweise groß, aber
noch ist man sich nicht einig, ob er eher
eine Ausnahme bleiben oder eine Insti-
tution werden soll.
Ein harter Wettkampf - der Palio
 
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