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Die Contrade
An fast jeder Straßenecke fallen sie ins Auge, die kleinen dekorativen Keramiktafeln mit
Symbolen, die noch heute die Zugehörigkeit jedes Häuserblocks zu einer
Contrada
an-
zeigen. Die Geschichte dieser selbst in Italien einmaligen „Nachbarschaftsvereinigun-
gen“ geht bis ins 11. Jh. zurück, ehe die einzelnen Wehrdörfer und Streusiedlungen sich
zu einer Kommune mit Rathaus und gemeinsamer Festungsmauer vereinigten. Die
Contrade waren selbstständige Einheiten innerhalb der Stadt mit eigener Verwaltung,
Gerichtsbarkeit und Miliz, eigenen Taufkirchen, Brunnen, Schutzheiligen, Farben und
Flaggen, Vorstehern
(Priori),
Heerführern
(Capitani del Popolo)
und Bannerträgern
(Gon-
falonieri).
Im 14. Jh. entstanden ihre noch heute gebräuchlichen
Namen und Symbole:
Aquila
(Adler),
Pantera
(Panther),
Tartuca
(Schildkröte, s. u.),
Chiocciola
(Schnecke),
On-
da
(Welle) und
Selva
(Wald) im Terzo Città,
Civetta
(Eule),
Leocorno
(Einhorn),
Nicchio
(Muschel),
Valdimontone
(Widder) und
Torre
(Turm) im Terzo San Martino,
Drago
(Dra-
che),
Giraffa
(Giraffe),
Oca
(Gans),
Lupa
(Wölfin),
Istrice
(Stachelschwein) und
Bruco
(Raupe) im Terzo Camollia. (Die heutige Zahl 17 geht auf eine Neuordnung von 1730
zurück, zuvor waren es auch mal 40, 60 oder mehr.)
Die Zugehörigkeit zu einer Contrada ist noch heute für jeden Sienesen selbst-
verständlich, auch wenn sich ihr Aufgabenbereich inzwischen im Wesentlichen auf so-
ziale Aktivitäten wie Jugendarbeit, Altenpflege und die Veranstaltung von Festen be-
schränkt. Mögen Kritiker im heutigen
Palio
auch nicht mehr sehen als eine gut funktio-
nierende Geldmaschine, bewegt und eint die Menschen der Stadt bis heute nichts so
sehr wie diese jahrhundertealte Tradition, ohne die die Contrade wohl kaum bis in un-
sere Tage überlebt hätten. Soziologen führen die Tatsache, dass Siena zu den am we-
nigsten von sozialen Problemen erschütterten Städten Italiens zählt (Kriminalität, Dro-
gen, Obdachlosigkeit), unmittelbar auf das Bestehen dieser Institution zurück.
Zwischen Ende April und Anfang September feiern die Contrade ihre
Feste
(die meis-
ten im Juni), zudem unterhält jede Contrada ein kleines
Museum,
in dem ihre Fahnen,
Kostüme, Waffen usf. aufbewahrt werden. Daten, Adressen und Öffnungszeiten erfährt
man beim Verkehrsamt der Stadt; in der Regel ist eine Voranmeldung von mindestens
drei bis fünf
Tagen erforderlich.