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Die Heeresversuchsanstalt Peenemünde
Begonnen hatte die Entwicklung von Raketen in Kummersdorf bei Berlin,
wo eine Handvoll begeisterter Wissenschaftler mit Strahltriebwerken expe-
rimentierte. Unter ihnen war ein besonders fähiger und tatendurstiger jun-
ger Wissenschaftler namens Wernher von Braun. Nachdem die Arbeit der
Gruppe lange verspottet und ignoriert wurde, erkannte ein Teil des Militärs
die Möglichkeiten eines solchen Antriebs für ihre Zwecke. Die Kummers-
dorfer erhielten nun großzügige finanzielle Förderung, um ein neues Test-
gelände und die notwendigen Versuchsanlagen zu bauen. Erst fiel die Wahl
von Brauns auf die Schmale Heide bei Binz auf Rügen. Dieses Gelände hat-
te sich aber kurz zuvor die Naziorganisation Kraft durch Freude unter den
Nagel gerissen und baute dort eine große Ferienanlage. Die Ruinen der An-
lage, die nie fertig wurde, sind dort heute noch zu besichtigen (s. auch Kap.
Rügen/Schmale Heide). So entschied man sich für Usedom, weil man von
dort aus ebenfalls über 400 km weit über unbewohntes Gebiet, d. h. die
Ostsee, schießen konnte. Die abgeschiedene Lage, geringe Besiedlung und
die zur Tarnung günstigen Kiefernwälder bildeten ideale Voraussetzungen
zur Geheimhaltung des Projekts.
Nachdem man sämtliche Einwohner West-Usedoms vertrieben hatte,
wurde 1936 mit dem Bau der gigantischen Anlage begonnen. 350 Millio-
nen Reichsmark, eine für die damaligen Verhältnisse unglaubliche Summe,
wurden für die größte Baustelle des Reiches bereitgestellt. Mit der Arbeits-
kraft Zehntausender Zwangsarbeiter und KZ-Häftlingen durchzog man den
ganzen Inselzipfel mit Entwässerungsgräben und senkte so den Grundwas-
serspiegel um 1,5 m ab. Ein künstlich angelegter See sammelte das Wasser.
106 km S-Bahn-Schienen wurden verlegt, die die einzelnen Gebäude der
Anlage, die sich über den gesamten Inselteil erstreckte, verbanden. Größter
Einzelbau war die Halle des Versuchsserienwerkes, in der die V 2 stehend
montiert wurde. Die Halle war 200 m lang, 75 m breit und 20 m hoch.
Ebenfalls gebaut wurde der größte Windkanal der damaligen Welt, in dem
fünffache Schallgeschwindigkeit erzeugt werden konnte. Während der er-
sten Bauphase begannen die Wissenschaftler mit dem Versuchsschießen
kleiner Raketen von dem kleinen, der Usedomer Küste vorgelagerten Eiland
Greifswalder Oie.
In Peenemünde wurde dann unter Leitung des Heeres, verkörpert durch
General Dornberger, die erste Großrakete der Welt, die V 2, entwickelt und
gebaut. Die Flugbombe V 1 entstammte den Laboratorien der ebenfalls in
Peenemünde ansässigen Luftwaffe, die von Raketen gar nichts hielt. (Wohl
weil sie dachte, im Falle des Gelingens überflüssig zu werden.)
Nach vielen Fehlschlägen gelang schließlich am 3.10.1942 der erste er-
folgreiche Start einer V 2. Sie flog über 90 km hoch und 200 km weit. Zum
ersten Mal in der Geschichte der Menschheit hatte damit ein Flugapparat
die Atmosphäre verlassen und war in den Weltraum vorgedrungen.
In Peenemünde wurde aber nicht nur an Raketen geforscht. Die Anlage
stellte sozusagen einen großen Wissenschaftlerpool, einen der ersten Tech-
nologieparks, dar. Es wurde an vielen Projekten parallel gearbeitet. So bei-
spielsweise an der ersten Flugabwehrrakete „Wasserfall“, an Großrechen-
 
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