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Der Helgoländer Hummer
Man hat es schon einmal totgesagt, dieses kuriose Schalentier, das
zoologisch der Spinne näher verwandt ist als etwa einem Fisch. Er ist
schon ein Unikum, der Hummer. Er hört mit den Beinen, schmeckt mit
den Füßen, kaut mit dem Magen, ist hoffnungslos kurzsichtig. Wen
sollte es da noch wundern, dass die Nieren dieses Urviechs hinter sei-
ner Stirn stecken und das winzige Gehirn in Schlundnähe liegt?
Des Hummers Pech ist es, dass er bei aller äußerlichen Hässlichkeit
himmlisch gut schmeckt. So kam es, dass man ihm auf den steinigen
Böden um Helgoland, die er als Lebensraum schätzt, schon immer in-
tensiv nachstellte. Über die Fänge gibt es noch Register aus alter Zeit.
1615 zum Beispiel waren 37.000 Exemplare in die Stellnetze gegan-
gen, die damals die gängigen Fangapparaturen waren, bevor sie von
Hummerkörben abgelöst wurden. Auch in späteren Jahren ist durch-
gängig von 40-50.000 Stück die Rede, im 18. Jahrhundert von
60.000, bis kurz vor dem 2. Weltkrieg gar bis zu 80.000 (Höchststand
1937: 87.014 Stück). Ein Großteil dieser Fänge ging gegen gutes Bares
zum Festland, zum Teil bis nach London.
Wie so oft, grub sich auch bei dieser ergiebigen Quelle der Mensch
selber das Wasser ab. Der Niedergang des Helgoländer Hummers
begann mit der Verbetonierung der Inselküste vor dem 2. Weltkrieg,
die die natürlichen Habitate sozusagen dicht zementierte. Die gewal-
tigen Sprengungen und Bombardements, denen die Insel danach aus-
gesetzt war, dürften dem Schalentier den Rest gegeben haben, und
die darauf einsetzende, ständig zunehmende Verschmutzung der
Nordsee tat ein Übriges. Auch vermutet man in der Überhandnahme
von Taschenkrebsen („Kniepern“) einen Rückgang der Hummerpopu-
lationen - beide Arten scheuen vor Kannibalismus nicht zurück. Je-
denfalls erholte sich der Hummerbestand nie mehr auf sein früheres
Volumen. Heute spricht man von lachhaften Jahresfängen von 300 Ex-
emplaren. Allerdings ist diese Ziffer von einem ziemlichen Grauschlei-
er umwoben. Die Helgoländer Fischer sind nämlich gehalten, jeden
erbeuteten Hummer für Naturschutz, Statistik und Steuer zu melden.
Und da sie mit Bürokratie herzlich wenig am Hut haben, werden sie
wohl so manches Panzertier hinterrücks in die Töpfe der Helgoländer
Restaurants wandern lassen, wo es für 13,50 Euro pro 100 Gramm
(einschließlich Zutaten) billigere (und, wie es heißt, weniger schmack-
hafte) irische, norwegische und kanadische Importe verdrängt.
Sollte es einen Silberstreif am Horizont geben? Mehr zu einer inte-
ressanten Entwicklung im Kapitel „Inselnatur“.
Übrigens: Wenn ein Restaurant Knieper anbietet, dann hauen Sie
rein, was das Zeug hält. Weil die Biester sich nämlich so explosionsar-
tig vermehren, machen sie dem Hummer das Leben schwer. Je mehr
der wohlschmeckenden Knieper heute dran glauben müssen, desto
besser geht es dem (noch schmackhafteren) Hummer morgen, und
desto billiger wird er letztlich. Zögern Sie auch nicht, die Finger beim
Essen zu Hilfe zu nehmen, denn mit Besteck isst man sich an Kniepern
(und Hummern) hungrig!
 
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