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wird. Ein Brauh, seit Jahrhunderten abgespeihert im kollektiven Gedähtnis der
Russen. Nur eine Minderheit aber kann sagen, woher er rührt. Nah altem
Volksglauben wohnt der Domowoj, der Hausgeist, in der Türshwelle. Ein Handsh-
lag oder ein Kuss über der Shwelle verletzt seinen Raum und beleidigt ihn. Ih habe
Minister erlebt, die einen Shrit zurükwihen, wenn ihnen ein Verhandlungspart-
ner vorshnell die Hand zum Gruß hinhielt. Vielleiht sind deshalb internationale
Krisen vermieden worden, vielleiht aber auh erst entstanden. Denn die ershrekte
Reaktion vieler Russen kann auf Fremde reht irritierend wirken.
Siher ist, dass Aberglaube und Sharlatanerie in Russland gelegentlih eine
politishe Dimension annahmen. Grigorij Rasputin (1869-1916), der Einlüsterer der
letzten Zarenfamilie, ist dafür eines der bekanntesten Beispiele. Leonid Breshnew
(1907-1982) hofte während seiner letzten Lebensjahre, seiner gebrehlihen Gesund-
heit mithilfe der georgishen Zauberin Dshuna Dawitashwili auf die Sprünge zu
helfen. Dem Nahrihtenmagazin Spiegel war die Dame 1981 sogar eine Titel-
geshihte wert. Auh Boris Jelzin soll sih bei ihr Rat geholt haben. Als ih
Dshuna einmal im Bolshoj heater sah, war sie das Gespräh des Abends. Sie trug
eine Art stilisierte Armeeuniform und war mit militärishen Abzeihen geshmükt.
In den Neunzigerjahren erlebten Wunderheiler, Magier und uaksalber einen
regelrehten Boom. Das war der allgemeinen Unsiherheit geshuldet. Die Menshen
lühteten aus der grauen Realität in eine Shatenwelt. Damals shien es, als häte
jeder Moskauer einen Geisterheiler, so wie jeder anständige New Yorker einen Psy-
hiater bezahlt. Sharlatane wie Allan Tshumak oder Anatolij Kashpirowskij
durten ihre abstrusen Lehren über die staatlihen Fernsehkanäle verbreiten und be-
haupten, über den Bildshirm und durh Hypnose Shwerkranke heilen zu können.
Die Armeeführung beshätigte zeitweise einen Militärastrologen, der das Shiksal
von Shlahtshifen und Kamplugzeugen voraussagte. Noh zu Sowjetzeiten hate
das Staatskomitee für Wissenshat und Tehnik ein »Zentrum für niht tradition-
elle Tehnologie« eingerihtet, dessen Leiter sogenannte torsionishe Felder er-
forshte und meinte, mit deren Hilfe in Zukunt neue Ölquellen entdeken und
Krankheiten verhindern zu können. Der Mathematiker Anatolij Fomenko, immer-
hin Mitglied der angesehenen Akademie der Wissenshaten, ersann ein neues
Zeitensystem, wonah die Geshihte nah Christus um etwa tausend Jahre gekürzt
werden muss.
Mite der Neunziger reherhierte ih eine Reportage über Geisterheiler, Sham-
anen und Okkultisten. Ih traf Sektenführer, die von sih behaupteten, Jesus zu sein,