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amerikanishe Touristen, sehs Studenten aus Deutshland, aht Japaner, eine
Handvoll Italiener und drei ältere russishe Frauen. Zwei Rentnerinnen kamen aus
der südrussishen, an der Grenze zur Mongolei gelegenen Provinz Burjatien und
waren »einfah nur neugierig«, wie sie sagten. Einzig Nadeshda, eine
ahtzigjährige Babushka mit shlohweißen Haaren, spekigem Mantel und hell-
blauem Koptuh kam aus Überzeugung. »Es ist eine Shande, alle haben Lenin ver-
gessen«, shimpte sie. »Dabei brauhen wir einen neuen Lenin, um mit den Kapit-
alisten und der Bourgeoisie aufzuräumen.«
Die übergroße Mehrheit der Moskauer aber hat es sih im neuen Wohlstand be-
quem eingerihtet. Sie haben das nähstgrößere Auto, die nähstgrößere Wohnung,
die nähsteurere Auslandsreise im Kopf und keine Revolution. Der gegenwärtige
Wert des Kommunismus lässt sih in Moskau, einer Stadt, in der alles mit Geld
gemessen wird, am Doppelgänger Lenins ablesen. Er steht unweit der Shlange und
nimmt hundert Rubel pro Foto, umgerehnet knapp drei Euro. Der Putin-Darsteller
aber kann tausend Rubel verlangen, also das Zehnfahe.
Ehe Sie die Leninmumie zu Gesiht bekommen, passieren Sie eine Siherheitskon-
trolle, bei der Sie wie am Flughafen alle Metallgegenstände vorzeigen müssen. Ein
Soldat der Ehrengarde fordert Sie vor dem Betreten des Mausoleums auf, Ihre Kopf-
bedekung abzunehmen. Dann steigen Sie über dunkle Treppen in die Grut hinab.
Vielleiht mahen Sie sih als Deutsher dann so Ihre Gedanken, wenn Sie am
Leihnam vorbeispazieren. Siher, man darf Lenin und Hitler niht gleihsetzen.
Zweifellos aber haben Lenin und sein Nahfolger Stalin eine brutale Diktatur
errihtet, der Millionen Menshen zum Opfer ielen. Die Russen haben es mit der
Vergangenheitsbewältigung niht eilig und auh shwerer als die Deutshen. Das
»Tausendjährige Reih« Adolf Hitlers verglühte nah zwölf Jahren, der Kommunis-
mus beherrshte Russland mehr als sieben Jahrzehnte. Der Friedensnobelpreisträger
Alexander Solshenizyn, Russlands bedeutendster zeitgenössisher Denker, fragt:
»Ein Rätsel, dessen Lösung uns Zeitgenossen niht beshieden ist: Wieso es Deutsh-
land vergönnt war, seine Bösewihte zu bestrafen, Russland aber niht? Welher ver-
hängnisvolle Weg steht uns bevor, wenn es uns niht gegeben ist, uns von dieser Ei-
terbeule zu reinigen, die in unserem Leib shwelt?«
Wenn Sie in Lenins Grut hinabsteigen, ergeht es Ihnen wahrsheinlih wie dem
lateinamerikanishen Shritsteller Gabriel Garcia Marquez, der in den Fünfziger-
jahren Moskau besuhte und festhielt: »Lenin sieht aus wie eine Wahsigur.« Er
trägt einen shlihten tiefblauen Anzug, die untere Körperhälte vershwindet unter
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