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Platz auf allen siebzig Friedhöfen Moskaus knapp ist, wirbt die Stadt für Feuerbe-
statungen, bringt damit aber die wieder erstarkte orthodoxe Kirhe gegen sih auf.
Die verurteilt Urnenbestatungen als »Goteslästerung und heidnishen Brauh«.
Grabparzellen kosten in Moskau zwishen 3000 und 12000 Euro. Die Tageszeitung
Nowyje Iswestija shrieb daher: »Es ist billiger zu leben.«
Die meisten russishen Friedhöfe sind weit weniger gut geplegt als der des Neu-
Jungfrauen-Klosters. Sie wirken auf westeuropäishe Besuher ot haotish. Gräber
werden durh kleine Eisenzäunhen eingegrenzt. Manhe rosten seit Jahren vor sih
hin. Etwa zehn Prozent der Moskauer Gräber sind vergessen. Zwishen den Grab-
steinen sprießen Bäume, von oben oder aus der Ferne betrahtet gleihen die Fried-
höfe einem Wald. Wiktor Jerofejew shreibt dazu: »Eure westlihen Gräber sind viel
zu shön ausgehoben, zurehtgemaht wie Beten, von allen Seiten gegen Würmer
geshützt. Unsere sehen ganz anders aus - da sind Zigaretenkippen drin. Kathol-
ishe Beerdigungen sind für uns ein mondäner Spaziergang unter shwarzem Sh-
leier, eine Versammlung von gut gebügelten Anzügen und Kostümen. Und protest-
antishe Begräbnisse erst - ah, die spärlihen Tränhen können das russishe Ge-
fühl der Selbstzerleishung keineswegs befriedigen. Wir sind eben geboren, um uns
in Fetzen zu reißen - bis hin zur Katharsis der russishen Beerdigung.«
Die Unordnung sollte Sie also niht dazu verleiten, anzunehmen, die Russen
würden ihre Toten shnell vergessen. Das stimmt so niht. Anders als in Deutsh-
land allerdings sind die Entfernung von Wohnort und Friedhof ot sehr groß, die An-
fahrt dauert auh innerhalb der Stadt mitunter mehr als zwei Stunden, und die
Angehörigen müssen von einem Ende Moskaus zum anderen fahren, denn die
meisten Friedhöfe liegen weit weg vom Zentrum entfernt. Jedes Jahr in der ersten
Maiwohe, wenn der Tag der Arbeit und der Tag des Sieges über Hitler-Deutshland
gefeiert wird und das ganze Land eine Ferienwohe genießt, mahen sih die
Moskauer zu ihren Gräbern auf und säubern sie von den Spuren des Winters, fegen
Blätter zusammen, reißen Unkraut heraus und streihen die Eisengiter. Vor vielen
Gräbern stehen kleine Holzbänkhen, da sitzen die Angehörigen und halten inne.
Manhe stellen ein Glas Wodka und eine Sheibe Brot für den Verstorbenen ans
Grab. Auf dass es ihm im Jenseits an nihts fehle.
Beerdigungen waren zu Sowjetzeiten meist eine shmuklose Angelegenheit, in-
zwishen ziehen viele Menshen wieder einen Priester hinzu; Moslems, deren Anteil
an der Moskauer Bevölkerung siebzehn Prozent ausmaht, einen Mullah. Die Beer-
digung indet in der Regel am driten Tag nah dem Tod stat. Am ofenen Sarg ver-
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