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pen zu mobilisieren. Das hinderte Stalins Nahfolger Nikita Chrushtshow niht
daran, in den Fünfzigerjahren zu einer neuen Welle der Verfolgung anzusetzen.
Die Loyalität der Kirhe zur weltlihen Obrigkeit wurzelt tief in der russishen
Geshihte. Ein Jahrhundert, nahdem sih ostslawishe Völker zu einem Großfür-
stentum, der »Kiewer Rus« vereinigt haten, nahm Großfürst Wladimir 998 das
Christentum als Staatsreligion an. Zuvor haten die Völker Naturgötern gehuldigt.
Die Orthodoxie stand gleihsam an der Wiege der Nation. Zwei griehishe Mönhe,
die Missionare Kyrill und Method, sollen die kyrillishe Shrit erfunden haben, um
die Bibel in slawishe Sprahen zu übersetzen. Großfürst Wladimir heiratete eine
byzantinishe Prinzessin, in der Hofnung, die byzantinishe Kaiserkrone zu erlan-
gen. Mit den religiösen Riten der sih von Rom abspaltenden Ostkirhe lossen auh
Elemente des byzantinishen Herrshatssystems in das spätere Russland: die
Palastintrigen, die strenge Hierarhie, die Gewohnheit, Politik hinter hohen Mauern
und ohne Transparenz zu betreiben.
Der doppelköpige Adler Ostroms wurde 1991 wieder zum Staatswappen, zum
Symbol dafür, dass Moskau den Westen und den Osten wieder dominieren will. Und
als Patriarh Alexej den neuen Präsidenten Dmitrij Medwedew und seinen Vor-
gänger Putin während des Ostergotesdienstes segnete, waren die Anklänge an die
»Symphonia«, das Zusammenspiel von Kirhe und Staat, unübersehbar. Politiker
zeigen sih gerne in Gotesdiensten. Die Geshihte der Orthodoxie, übersetzt als
Rehtgläubigkeit, ist niht frei von Shandleken, beispielsweise die Kollaboration
mit dem KGB zu Sowjetzeiten. Aber sie zeihnet sih durh vergleihsweise Toleranz
gegenüber anderen Religionen aus. Gerne verweisen orthodoxe Würdenträger und
russishe Politiker darauf, dass die Kirhe weder Kreuzzüge noh Inquisition zu ver-
antworten hat. Der einlussreihe Chef der russishen Eisenbahn Wladimir Jakunin,
lange als einer der möglihen Nahfolger Putins gehandelt, sagte mir: »Sogar
während unserer Kolonialzeit, als wir nah Sibirien ausgrifen, haben wir den ortho-
doxen Glauben niht mit dem Shwert verbreitet. Vergleihen Sie das mit den
Kreuzzügen. Russland hat niemals im Namen der Religion Blut vergossen. Auh jet-
zt, wo sih all die früheren Republiken von uns abgewandt haben, gibt es keinen re-
ligiösen Chauvinismus.«
Professor homas Bremer, der in Münster Ostkirhenkunde lehrt, kommt in
seinem lesenswerten Buh »Kreuz und Kreml« zu der Shlussfolgerung, dass die
»russishe Orthodoxie gegenwärtig einen Wandel von einer imperialen zu einer na-
tionalen Religion durhmahe«. Dass sih mehr als sehzig Prozent der Einwohner
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