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Jean de Béthencourt -
Ritter ohne Furcht und Tadel
Im kanarischen Telefonbuch tauchen unter dem zweiten Buch-
staben des Alphabets viele Bethencourts und Betancorts auf.
Wer einen dieser Namen trägt, genießt auf Fuerteventura höchs-
tes Ansehen, gilt er doch als Nachfahre Jean de Béthencourts -
jenes berühmten Eroberers (1362-1425), der ins „große Aben-
teuer“ (fuerte ventura) verliebt war und den Archipel „aus der
Düsternis des Steinzeitalters befreite“. Die ersten, die über ihn
schrieben, waren seine ergebenen Protokollführer, die Priester
Le Bontier und Verrier. In der Chronik „Le Canarien“ zeichnen sie
ein schmeichelhaftes Bild von seiner Person. Béthencourt, heißt
es da, war ein wahrer Christ und Edelmann, der „nur das Beste“
für die wilden Heiden wollte. Doch war er das wirklich? Was hat-
te ihn auf die Kanarischen Inseln getrieben?
Dem normannischen Ritter gehörten große Ländereien in
und um Grainville-la-Teinturière. Doch was nutzte ihm der Be-
sitz, wenn dieser keinen Profit abwarf? Die Pest von 1347 hatte
weite Teile der Bevölkerung hinweggerafft, die Textil- und Fär-
berindustrie, auf die noch der Beiname des Ortes verweist, war
zugrunde gegangen. Eine Neubelebung der Wirtschaft war
nicht in Sicht, die Normandie, Aufmarschgebiet im Hundert-
jährigen Krieg zwischen England und Frankreich, war verwüstet.
Da die Ländereien für einen adeligen Lebensstil zu wenig Geld
abwarfen, musste das Einkommen anderweitig aufgebessert
werden. Schon bald war Béthencourt für Erb- und Heirats-
schwindel bekannt, er organisierte Raubzüge gegen englische
Schiffe und schreckte nicht davor zurück, Widersacher brutal zu
beseitigen. Bald schon ermittelte das englische Krongericht ge-
gen ihn, was den Ritter freilich nicht zu verschrecken brauchte.
Aufgrund des Krieges war eine Vollstreckung der Strafe nicht zu
fürchten, auch genoss er dank verwandtschaftlicher Bande gute
Beziehungen zum französischen und kastilischen Hof.
Die Beziehungen zu Heinrich III., dem König von Kastilien,
nutzte er 1402 zu einer Expedition zu den Kanarischen Inseln,
von denen es hieß, sie seien reich an kostbaren Gütern. Man
sprach von Robbenfellen, die man zu Kleidungsstücken verar-
beitete, vom heilsamen „Drachenblut“, einer Harzflüssigkeit des
Dragobaums, und von der Flechte Orseille, aus der ein karmin-
roter Farbstoff gewonnen wurde. Und man wusste auch, dass es
auf den Kanaren ein Leichtes war, Sklaven zu erbeuten.
Zusammen mit Gadifer de la Salle, einem Kompagnon aus
den Tagen der Piraterie, und 220 normannischen und andalusi-
schen Söldnern stach er am 1. Mai in La Rochelle in See. Das
nötige Geld für Schiff und Besatzung hatte er sich von seinem
andalusischen Onkel Conde de la Niebla geliehen, der sich als
Pfand dessen Grafschaften hatte überschreiben lassen. Doch
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