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Aus den Boxen, die niht mehr die Jüngsten sind, wehklagt und wimmert das Ban-
doneon, brummelt der Bass, seufzen die Violinen. Die Lieder handeln vom vollen
Mond und vom leeren Herzen, von den untreuen, grausamen Frauen, vom Peh und
vom Leid und von der guten alten Zeit. Der Klomann kennt die Texte, er trällert
von seinem Arbeitsplatz aus munter mit. Und hält für diejenigen, die noh mehr
wollen von dieser Naht, Deo, Minzpastillen und Kondome parat. Es wird niht viel
gesprohen, es wird niht viel gelaht, es wird nur getanzt. Immer links herum, im
Viervierteltakt gegen den Uhrzeigersinn, als würde die Naht so langsamer vergehen.
Die Augen haben sie geshlossen, als sehnten sie sih nah einer besseren Zeit an
einem besseren Ort.
Es ist halb drei. Verónica und Omar haben mal wieder ihre Tangoshow für die
Touristen im Hafenviertel abgeliefert, jetzt sind sie mit ein paar anderen Tänzer-
paaren hergekommen, um noh ein paar Runden zu drehen, ein paar Biere zu
trinken.
Neonliht ist immer grausam. Doh um vier geht auh diese Tanznaht zu Ende.
Eine letzte »Cumparsita«, dann werden in der Viruta die Stühle hohgestellt. Die
Frauen ziehen sih ihre Tanzshuhe von den Haken und shlüpfen in Flip-lops. Ein
letztes Paar tanzt einen letzten Tango, den nur sie im Ohr haben. Dann müssen auh
sie gehen. Es wird andere Nähte geben.
Der Mann, der Argentinien eine Stimme gab: Carlos Gardel
Am 28 . März 1913 ersheint in der Zeitshrit Fray Moho eine kleine Annonce:
»Carlos Gardel, Tenor, Künstler des Teatro Nacional, Doppelshallplaten ( 25 cm),
2 Pesos«. Die Platen hat ein 21- Jähriger aufgenommen, der sih seit ein paar Jahren
in den Spelunken, Kabarets und Bordellen von Buenos Aires herumtreibt.
Man nennt ihn El Moroho del Abasto, diesen Gardel, den »Shwarzhaarigen aus
dem Abasto-Viertel«. In den Vorstädten, in den Hafenvierteln und den Messersteh-
ergegenden gibt es viele wie ihn. Begleitet von einer Gitarre, singt er manhmal die
erste Stimme und manhmal die zweite. Keine ausgebildete Stimme, keine mähtige
Stimme, keine ausgefeilte Atemtehnik. Aber dieser Gardel weiß, wie man singen
muss, damit es den opernverliebten italienishen Einwanderern gefällt. Hafenarbeit-
er, Laufburshen, Glüksspieler, die meisten von ihnen können niht lesen - aber aus
ihren verfaulten Zahnreihen pfeifen sie Verdi-Ouvertüren und trällern sie Puccini-
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