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Knopfes machte ihn ein wenig weiter, so dass er grade so passte. Es musste gespart werden, wo es nur
ging. Von den vorhandenen dunkelblauen Anzügen passte keiner mehr. Bei dem einen waren die Ärmel
zu kurz und bei dem anderen die Hosenbeine. Wären sie zu lang gewesen, sagte meine Mutter, könnte
sie kürzen, verlängern aber könne sie nicht.
Herr Königsberger hatte alles, was wir brauchten, die Frage war nur, ob wir es auch bezahlen konnten.
Ein helles, weiß-schwarz klein kariertes Sakko und eine himmelblaue Stoffhose passten wie maßge-
schneidert. Herr Königsberger sagte: „Ein einfärbiger Anzug ist wie eine einzige langweilige Schnee-
landschaft“,dasZweifärbigeseivielschöner.MeineMutterwardavonnichtsorechtüberzeugt,aberder
KaufmanngewährteihrPreisnachlassunddenkonntenwirgutgebrauchen;fürdenteurendunkelblauen
Anzug hätte das mitgebrachte Geld doch nicht ausgereicht. Ein kleines blaues Mascherl - eine Fliege -
in der gleichen Farbe wie die Hose bekamen wir noch als Geschenk dazu.
Die Firmung fand nicht auf dem Dorf statt, sondern in der großen Stadt, da sie von einem Bischof ge-
spendetwurde.Undsofuhrich,nurvonmeinerSchwesterbegleitet,aneinemwunderschönenJunisonn-
tagmitderEisenbahnnachWien.„SteigtnichtinHeiligenstadt,eineStationzufrühaus“,riefunsmeine
Mutter noch fürsorglich nach. Um sechs Uhr früh kauften wir am Ziersdorfer Bahnhof die Fahrkarten
beim Bahnhofsvorstand mit der roten Tellerkappe und den goldenen Knöpfen an der Jacke, vor dem ich
als kleiner Junge bei meiner ersten Eisenbahnfahrt solche Angst gehabt hatte. Dann saßen wir endlich
im Coupé dritter Klasse auf den hellen sauberen Holzbänken, deren Rückenlehnen mit den kleinen und
großen Herzen und Initialen junger Liebender beschnitzt waren. Eine und eine halbe Stunde dauerte die
Fahrt bis Wien Franz-Josefs-Bahnhof.
Der imposante Stephansdom war bis auf den letzten Platz gefüllt. Firmlinge aus mehreren Bundeslän-
dern waren gekommen, um eines der sieben heiligen Sakramente zu empfangen. In vielen Reihen stan-
den wir vor dem Hauptaltar, die Mädchen in prächtigen Kleidern, die Burschen in blauen, schwarzen,
braunen Anzügen, und manche trugen auch sogenannte Kombinationen wie ich in meinem klein karier-
ten schwarz-weißen Sakko und der blauen Hose. Dem Herrgott, dachte ich, ist es egal, wie viel der An-
zuggekostethat.ErsiehtnurinmeineSeeleundwillsieheutedurchdasSakramentderFirmungstärken
und festigen.
Schon beim Eintreten in die riesige, mit Gläubigen voll besetzte Kirche spielte wunderschöne Orgelmu-
sik -sehr feierlich undviel lauter als die in der kleinen Gettsdorfer Kirche vom Organisten Herr Molder
doch eher schlicht gespielten Melodien. Der barocke Hochaltar mit seinen vielen Bildern, Figuren und
Goldverzierungen blendete mich regelrecht. Mit dem heiligen Stephan, der auf dem großen Altarbild
von Schergen gesteinigt wird, habe ich richtig mitgelitten. Hoffte wider besseres Wissen, dass die im
HintergrundabgebildeteMenschenmenge,mitaucheinpaarHeiligendarunter,ihmhelfenwürde.Unter
dem prachtvollen Altarbild konnte ich noch die stehenden Skulpturen von vier weiteren Heiligenfiguren
erkennen:denheiligenSebastianmitdeminderBruststeckendenPfeil,denheiligenLeopoldmiteinem
goldenen Modell des Stiftes Klosterneuburg in der rechten Hand, den heiligen Florian nebst silbernem
Holzschaff mit Wasser und den heiligen Rochus, seine Pestwunde am Oberschenkel zeigend.
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