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vorgesehenen Grabstätte zu bringen. „Mitten am Misthaufen liegt sie“, rief mir der Stiefvater mit Stolz
inderStimme hinterher,„dort,wosiehingehört, dasdiebische Vieh.“ AufdemWegbegegnete mirmei-
ne Mutter, und als sie mein verweintes Gesicht sah, rannen auch ihr die Tränen über die Wangen.
In solchen Augenblicken waren wir uns sehr nahe. Wir sahen einander nur kurz an und gingen beide
ohneeinWortweiter.IcheiltezumMisthaufen.Dochwiesehrichauchsuchte,dieKatzelagnichtmehr
auf dem Misthaufen vor dem Küchenfenster im Hof. Hatte der Stiefvater sie selbst unter Mist und Jau-
che vergraben? Das glaubte ich nicht. Das war nicht seine Art. Ganz sicher wollte er mir die Trophäe
dieser in seinen Augen ruhmreichen Tat präsentieren, mir Schmerz zufügen und mir seine erbarmungs-
lose, grenzenlose Macht unter Beweis stellen. Doch wo ich auch suchte, ich konnte die tote Katze nicht
finden. Mit einer großen Mistgabel grub ich beinahe den ganzen stinkenden Misthaufen um - nichts.
Meine Mutter bot mir an, eine andere, aber doch recht gleich aussehende Katze für mich zu finden. Das
würde mich schon über diesen traurigen Verlust trösten. Aber nein. Ich wollte nicht, ich konnte nicht.
EtwadreiWochenspäterliefMirliüberdieStraßeinRichtungSchmida.Ichkonnteesnichtglaubenund
es war ja auch unmöglich. Doch sie war es, ich war mir ganz sicher. Auch wenn sie sich sehr verändert
hatte. Abgemagert, zerzaust, mit kahlen Stellen im Fell, das rechte hintere Bein zum Bauch angezogen,
hinkend, den sonst freudig nach oben gestreckten Schwanz nun traurig nachziehend. Als sie mich sah,
schaute sie einen Augenblick auf, lief aber, sichtlich erschreckt, so schnell sie mit ihren drei gesunden
Beinenkonnte,sofortwiedervonmirweg.AllmeinRufenundSuchennütztenichts,siekamnichtmehr
zurück.
Von nun an war ich jeden Tag zu allen möglichen Zeiten an dieser Stelle, betete zum heiligen Leonhard,
dem Schutzpatron der Tiere, dem die gotische Kirche von Wartberg geweiht ist, um seine Hilfe, in der
Hoffnung, sie könne wieder vorbeikommen. Schließlich kam sie auch wieder, und bald kam sie jeden
Tag, schaute mich an und verweilte von Mal zu Mal länger, ehe sie scheu weiterlief. Versuchte ich aber
näherzukommen, lief sie gleich weg.
Es dauerte über ein halbes Jahr, bis Mirli mich wieder an sich heranließ und ich sie berühren und strei-
cheln durfte. Meine Gebete an den heiligen Leonhard und an unseren Herrgott haben mir wieder einmal
geholfen.
Sei besiegelt durch die Gabe Gottes, den Heiligen Geist
KönigsbergerwardaseinzigeKaufhausinZiersdorfundwurdevonvielenKäufernausdenumliegenden
Dörfernbesucht.HierkonntendieKundenselbstaussuchen,wassiewollten,undHerrKönigsbergerlud
sie gerne mit vertrauensvoll klingenden Worten dazu ein: „Nehmen Sie, was Sie brauchen.“
Meine Mutter und ich waren mit dem Fahrrad gekommen, um für meinen bevorstehenden Empfang des
heiligen Sakraments der Firmung einen neuen dunkelblauen Anzug zu kaufen. Das weiße Hemd, das
ich zur heiligen Kommunion bekommen hatte, konnte ich noch anziehen. Die zu kurz gewordenen Är-
mel hatte meine Mutter mit dem gleichen Stoff verlängert - sie schnitt ein Stück Stoff aus dem unteren
Rückenteil des Hemdes heraus. Auch der Kragen war etwas zu eng geworden, aber eine Versetzung des
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