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der Kindsvater, konnten nur noch lallen, rülpsen und grunzen wie die Schweine, während sie sich an
Türpfosten, Tischkanten und aneinander gegenseitig festhielten, um nicht umzufallen.
Die vierzehn Tage alte kleine Helene lag unruhig im Bett und war ganz rot im Gesicht. Wachte immer
wieder auf und weinte, was sich anhörte wie das Quieken von jungen Ferkeln. Die Atmung war unre-
gelmäßig, setzte kurz aus - ein Moment der Stille -, um dann in heftigen, röchelnden Zügen wieder neu
einzusetzen. Keuchen und Husten schüttelten den kleinen Leib, der kleine Kopf wurde immer röter und
bläulicher und aus dem Mund kam gelblich-weißer zäher Schaum. Tante Hilda wachte alleine am Bett,
und allmählich wurde Helene ruhiger, das Fieber ging zurück, die Gesichtsfarbe war wieder rosa. Stun-
den später schlief das Kind ein.
Als der Onkel am nächsten Morgen wieder etwas nüchterner war, ging er mit stinkendem Atem zu dem
kleinen, hölzernen Kinderbett, um nach der zwei Wochen alten Tochter zu schauen. Aber das Mädchen
rührte sich nicht, es lag tot im rosa bezogenen Kinderbett. Am nächsten Tag kamen alle Dorfbewohner
mit weißen Lilien und deckten die kleine tote Helene damit zu, bis nur noch das blasse, leicht bläuliche
Kindergesicht herausschaute.
NachdiesemKindstodwardieHildatant' nichtmehrdiealteLiebevolle, Warmherzige, mildLächelnde.
IhrGesicht verlorangesunderFarbe,ihreMundwinkelzeigten meist nachuntenundderZwischenraum
zwischen den vorderen, oberen Schneidezähnen schien zusehends größer zu werden.
Schluchzend und fluchend füllte der Totengräber die Weingläser neu
Gleich nach dem Passieren des Marterls mit der Pietà an der Schmidabrücke konnte man das Haus von
Jakob Bieringer, dem Vater von Emma, meiner Emma, sehen. Ein kleines, weiß getünchtes, niedrig ge-
bautes Haus mit einem graubraunen Ziegeldach und einem wunderschönen, wild wachsenden Blumen-
garten davor. Der etwa fünfzigjährige, gedrungen kleine Bieringer, dem seit vielen Jahren rechts hinten
am Genick ein handtellergroßes Fettgeschwulst, ein Lipom, wuchs, das von Jahr zu Jahr größer wurde,
verdiente seinen Lebensunterhalt, wie die meisten Dorfbewohner, durch seine drei Hektar große Land-
wirtschaft.
Später begannen auf dem Lipom zusätzlich noch viele kleine warzenähnliche Erhöhungen zu wachsen,
was Dr. Meinrath aus Ziersdorf zu der Überlegung veranlasste, das Lipom könne doch auch ein Lym-
phom, ein Krebsgeschwür, sein. Er schickte den Bieringer zu einem Spezialisten und die Diagnose er-
härtete sich: Lymphdrüsenkrebs. Das Lymphom wuchs weiter, und ein Jahr später konnte der Bieringer
wegen dieses schnellen Wuchses das Genick kaum noch bewegen, die Geschwülste wucherten nun rund
um den ganzen Hals. Wollte er nach rechts oder links schauen, musste er den ganzen Körper in die ent-
sprechende Richtung drehen.Aufgrundseines geschwulstig verwachsenen Genicks warderkugelförmi-
ge Kopf starr mit dem Rumpf verbunden.
Der Bieringer kam ins Spital nach Hollabrunn, wo er bald darauf seinem wuchernden Krebsgeschwür
erlag. Emma war ganz traurig, sagte mir aber auch, wie froh sie sei, dass wir beide, sie und ich, uns
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